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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 5. Abhandlung): Symmetrie im Spiegel der Antike: vorgetragen am 7. Juni 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48148#0023
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Symmetrie im Spiegel der Antike

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den zunächst adjektivisch gefaßten Begriff sym-metros19 durch eine fast
mechanisch wörtliche Übersetzung com-modus, wovon dann das Sub-
stantiv com-moditas abgeleitet wurde (vgl. Vitruv, De architectura
I 2,2); es bezeichnet die ‘Angemessenheit’, fast könnte man sagen die
‘maßgerechte Angepaßtheit’, woraus sich dann die allmählich vorherr-
schende Nebenbedeutung ‘bequem’ und ‘Bequemlichkeit’ erklärt; ein
Sessel, der sich in seinen Maßen genau denjenigen seines Benützers
anpaßt, ist com-modus, er ist ‘kommöd’, wie noch der oberbairische
Bauer sagt, der ganz ebenso sinngemäß von einem ‘kommöden’ Men-
schen spricht als von einem, der sich überall gut einfügt und anpaßt30.
Im Deutschen wird dann weiterhin aus com-modus das Bedeutungs-
lehnwort ge-mäß mit dem Substantiv Ge-mäßheit, das allerdings dann
in der Praxis durch das sich einbürgemde Wort ‘Angemessenheit’ ver-
deutlicht und sinngerecht ersetzt worden ist. Vielleicht schon vorher ist
das Adjektiv ‘gemäß’ mehr und mehr zum Beiwort abgesunken und
hat dem umständlicheren, aber wohl verständlicheren ‘angemessen’
Platz gemacht31.
Wenn unsere Vermutung zutrifft, daß sich das griechische symme-
tria als Bedeutungslehnwort übers Lateinische ins Deutsche vererbt
das Wort besagt (W. Kayser, Das sprachliche Kunstwerk 1948 [I21967], S. 296f.).
Hier in dem nicht streng logisch gebildeten Terminus ‘Bedeutungslehnwort’ geht
es darum, was man sich bei einem Begriff denkt, für den man noch kein Wort hat.
Man gewinnt es dadurch, daß man das zusammengesetzte Wort dafür in einer
überlegenen Sprache findet und ‘Wort für Wort’ in die eigene übersetzt. Wolfg. P.
ScHMiD-Göttingen belehrt mich, daß die Franzosen dafür kurz und treffend calque
sagen (d. i. ‘Pause’ im Sinn von ‘Abklatsch, Durchzeichnung’) und verweist für den
Gebrauch des Terminus ‘Bedeutungslehnwort’ auf S. Singer in der Zeitschrift für
deutsche Wortforschung 3. 1902, S. 221, wo die deutsche Bezeichnung erstmals
gebraucht und begründet und im folgenden (S. 222-237) durch zahlreiche Bei-
spiele belegt wird. - Ferner allgemein J. Knobloch, Sprachwissenschaftliches
Wörterbuch, Lief. 6. 1971, S. 403.
29 Bei Plinius, Nat. hist. 34,65 heißt es knapp und deutlich: non habet Latinum nomen
symmetria.
30 Georg Büchner beschließt seine Komödie ‘Leonce und Lena’ damit, daß er den
Hofnarren Valerius u. a. Gott bitten läßt um „eine commode Religion“ (frdlr. Hin-
weis von Heinz Hofmann).
31 Als Übergang von gemäß zu angemessen darf vielleicht der Gebrauch von gemessen
gelten, wie er sich bei dem spätmittelalterlichen Minnedichter Oswald von Wol-
kenstein findet, wo er das Idealbild einer menschlichen Gestalt schildert: gemessen
ist all dein figur, ... nach der mensur an tadel, ‘angemessen ist deine ganze Gestalt
nach tadelfreier Proportion’ - Max Wehrli, Deutsche Lyrik des Mittelalters. Aus-
wahl und Übersetzung,21962, S. 400f. (der Hinweis auf das Gedicht wird P. Hom-
mel verdankt).
 
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