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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 5. Abhandlung): Symmetrie im Spiegel der Antike: vorgetragen am 7. Juni 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48148#0026
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Hildebrecht Hommel

‘zusammenfügen’) eine mehr räumliche, mit rhythmos (von rhein ‘flie-
ßen’) eine mehr zeitliche Vorstellung zu verbinden pflegen. Daß dies
nicht gerade falsch, aber im Grunde ungriechisch ist, will ich an dem
dritten Äquivalent jenes Begriffs zeigen, am kairos. Hier staunen wir
zunächst wieder einmal, weil das Wort im Altgriechischen und dann
vollends bei uns eine Verengung im zeitlichen Sinn zu ‘günstiger
Augenblick’ erfahren hat, wie man es denn bei uns allgemein auch nur
so gebraucht36.
In Wahrheit hat kairos aber von Anfang an die harmonische Aus-
gewogenheit bezeichnet, sowohl der Dinge im Raum, wie ihren Ablauf
in der Zeit. Beim Dichter Pindar (01. Ode 13,47f.) heißt es: ‘alles Ding
hat sein zugehöriges Maß, noesai de kairos dristos - es zu erkennen
bedeutet besten Kairos’, feinstes Harmoniegefühl, wie wir geradezu
auch sagen könnten. Hierzu stellt sich bereits ein noch früherer Beleg:
Hesiod, Werke und Tage 694: ‘Maß heißt es zu beachten; kairös d’epi
päsin dristos - Kairos ist allenthalben zu bevorzugen’363; eine Maxime,
die dann mehrfach Nachahmung gefunden hat37.
Für den rhythmos im gleichen Sinn sei stellvertretend nur ein wich-
tiger Passus aus einem Gedicht des frühen Lyrikers Archilochos zitiert,
der die ionische Wortform rhysmos gebraucht: fr. 67a, 7 Diehl ginoske
hoios rhysmos anthrdpüs echei ‘erkenne was für Maß die Menschen bin-
det!’ Wenn Gelehrte wie Friedrich Pfister und Werner Jaeger, denen für
die Erhellung dieser Begriffe viel verdankt wird38, der eine im rhysmos
ein zeitliches Maß erblicken will, der andere als „Uranschauung“ dieses
Worts „räumlichen Halt und feste Begrenzung“ festzustellen meint, so
36 Schon die älteste erschließbare Statue des spät zum Gott erhobenen Kairos, von
Lysipp aus dem 4. Jh. v. Chr., scheint ihn als den Gott des günstigen Augenblicks
dargestellt zu haben, s. dazu H. Lamer, RE X 1919, Sp. 1515f. O. Gigon, Lexikon
der Alten Welt 1965, Sp. 1459.
36a Die beiden Stellen auch bei H. KNELLin: Symmetrie 1 1986, S. 170f. m. Anm. 68 in
wichtigen Ausführungen über Kairos.
37 Theognis 401; Bakchylides 13(14), 6 ff.; Aischylos, Hiketiden 1059f., Prom. 507
(vgl. a. Pindar, Pyth. 4, 287. Nem. 1,18. Isthm. 1, 60ff. usw.). Dazu H. Hommel, H.
St. Chamberlain und die Griechen 1939, S. 27, Anm. 54. Nicht benutzt sind diese
meine Ausführungen von Hanna Philipp in: Wandlungen. Festschr. f. E. Homann-
Wedeking 1975, S. 132ff., wo vielfach in ganz ähnlichem Sinn über symmetria, har-
monia, kairos und rhythmos gehandelt wird (unter Heranziehung der wichtigen
Stelle Plutarch, De recta ratione audiendi, c. 13 = I p. 45C). Vgl. a. unten Anm. 63.
38 Friedr. Pfister, Kairos uns Symmetria. Würzburger Festschr. f. Heinr. Bulle 1938,
131 ff. und schon Hosius-Festschr. 1936, 93, Anm. 5. W. Jaeger, Paideia I 1934,
147 f., dazu H. Hommel aO. Gegen einen zu engen Begriff von kairos bei Fr. Pfister
wendet sich auch H. Philipp aO., S. 134f.
 
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