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Wolf, Joseph Georg; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1988, 2. Abhandlung): Das Senatusconsultum Silanianum und die Senatsrede des C. Cassius Longinus aus dem Jahre 61 n. Chr.: vorgetragen am 17. Jan. 1987 — Heidelberg: Winter, 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.48153#0024
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Joseph Georg Wolf

instituta et leges maiorum ein Beschluß gefaßt werden soll. Mos
maiorum bedeutete Legitimation durch Bewährung seit alters, seit
eigentlich unvordenklicher Zeit. Das Silanianum war aber erst im
Jahre 10 n. Chr. ergangen, vor also gerade 50 Jahren64, und hatte keine
Vorgänger.65 Darüber wollte Cassius auch nicht hinforttäuschen: kei-
ner im Senat, der es nicht wußte.66 Demnach wäre ein Gesetz nach 50
Jahren mos antiquus gewesen. Wir können das nicht ausschließen.67
Die Frage verliert indessen ihr Gewicht, wenn es nicht Cassius selbst
ist, der hier spricht. Wirklich liegt es näher, daß die Gleichsetzung von
Silanianum und mos antiquus und damit allerdings das ganze Konzept
der Einleitung der Rede von Tacitus stammt.68 Weder im Kontext der
Rede noch in der Rede selbst wird das Silanianum beim Namen
genannt. Das ist nicht außergewöhnlich: in den Annalen wird kein
Senatsbeschluß beim Namen genannt. Dagegen ist es unverkennbare
Strategie, wenn im Kontext von der Strafnorm zweimal die Rede ist,
und sie das eine Mal mos vetus (14.42.2), das andere Mal mos antiquus
(14.45.2) genannt wird und im übrigen jede Instruktion unterbleibt.69
64 Siehe o. A. 12.
65 Vgl. die Erwägungen bei Nörr (1983) 195 f.
66 Nörr (1983) 195 möchte „die - implizite - weite Zurückdatierung ... zumindest als
Advokatentrick“ bezeichnen. Da er keine Möglichkeit sieht, Cassius vom „Vorwurf
der Unwahrheit“ zu entlasten (195 f.), macht er dem „Cassius der Rede bei Tacitus“
schließlich den Vorwurf der „bewußten Verschleierung“ (197).
67 Bei Cicero gehört immerhin schon die Generation der Urgroßväter zu den maiores,
s. Roloff 318 f. Gelegentlich unterschreitet er aber auch diese Grenze: In de officiis
(3.67) aus der zweiten Hälfte der vierziger Jahre zählt Cicero zu den maiores den
Richter eines Prozesses, der vor 50 Jahren stattgefunden hatte. In der oratio ad
populum über das Siedlergesetz des Rullus aus dem Jahre 63 v. Chr. nennt er
maiores die Sieger im Bundesgenossenkrieg, der gerade 25 Jahre zurücklag (leg.
agr. 2.49). In der Rede pro Rabirio (2), die Cicero im selben Jahr vor der Volksver-
sammlung gehalten hat, schreibt er den maiores das senatus consultum ultimum zu,
das 58 Jahre vorher, im Jahre 121 v. Chr., zum ersten Mal beschlossen worden war;
der ‘äußerste Senatsbeschluß’, den er jetzt, im Jahre 63 v. Chr., verteidigte, war im
Jahre 99 v. Chr. ergangen! Gegen 40 v. Chr. schreibt Sallust (Cat. 29.3), daß der
‘Ausnahmezustand’ more Romano beschlossen werde. Bekanntlich ist das ‘Ausnah-
merecht’ von den Populären niemals anerkannt worden; vgl. etwa J. Bleicken, Lex
publica (1975) 473 f.
68 Nach D’Ippolito 55 soll Tacitus von ‘der Existenz des senatus consultum Silani-
anum’ keine Kenntnis gehabt haben; s. auch A. 113.
69 Nörr (1983) 194 zieht dagegen in Betracht, daß Tacitus auf Cassius’ „Verschleie-
rungstaktik“ hereingefallen ist oder sie mitgemacht hat. Syme II 744 verkennt die
Zusammenhänge; er glaubt, daß Cassius „based his appeal, not upon the legislation
of the Principate but upon an alleged Republican precedent, the vetus mos“; vgl. o.
nach A. 38.
 
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