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Wolf, Joseph Georg; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1988, 2. Abhandlung): Das Senatusconsultum Silanianum und die Senatsrede des C. Cassius Longinus aus dem Jahre 61 n. Chr.: vorgetragen am 17. Jan. 1987 — Heidelberg: Winter, 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.48153#0033
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Das Senatusconsultum Silanianum

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zum Tode verurteilt; sondern um ihre Begnadigung.110 Für ihre Bestra-
fung mögen die Umstände der Mordtat ohne Bedeutung gewesen sein:
für ihre Begnadigung konnte aber durchaus ins Feld geführt werden,
daß der Dominus die Tat, bei der die gebotene Hilfe nicht geleistet
worden ist, selbst herausgefordert hat.111 Dabei verstand sich natürlich,
daß er den Freilassungsvertrag brechen ‘durfte’ und daß er kein
‘Unrecht’ tat, als er seinem Sklaven den Liebhaber fortnahm. Was
hätte er nicht gedurft? Cassius rhetorisch eindrucksvolle refutatio ver-
fehlt darum den Punkt.112
Wir halten fest: Als Argumente für eine Begnadigung sind die
Beweggründe des Täters der Mordtat plausibel und erwägenswert. Sie
werden von Cassius, wie es die Rhetorik will, mit Hohn und Spott für
den politischen Gegner, aber auch für die betroffenen Sklaven
bekämpft. Der sachliche Kern seiner Entgegnung ist jedoch nicht rele-
vant. Die Darstellung der Tatmotive im Kontext und ihre Behandlung
in der Rede sind aufeinander abgestimmt.113 Diese Abstimmung ist
110 Siehe o. nach A. 39.
111 Vgl. Nörr (1983) 197. Daß für Augustus im Falle des Hostius Quadra (A. 112) „das
Selbstverschulden des ermordeten Eigentümers ein entscheidender Gesichtspunkt
gewesen“ ist, sehe ich allerdings nicht; prüde Entrüstung über Quadras Gewohnhei-
ten bestimmte die Entscheidung des Kaisers.
112 Nicht vergleichbar ist der Fall des Hostius Quadra (Stein, RE 8 [1913] 2517; Peter-
sen, PIR IV2 [1952-1966] H 230), über dessen exzentrisches Sexualleben Seneca sich
so glänzend unterrichtet zeigt. In erbaulicher Breite schildert der Philosoph (nat.
1.16) die perversen Praktiken, deretwegen (insofern unrichtig Behrends [A. 6] 59)
Augustus, als der Mann von Sklaven umgebracht worden war, urteilte, er sei der
‘Rache’ unwürdig; nicht viel soll gefehlt haben, daß er entschied, Quadra sei zu
Recht getötet worden: Hunc divitem avarum ... divus Augustus indignum vindicta
iudicavit, cum a servis occissus esset, et tantum non pronuntiavit iure caesum videri
(nat. 1.16.1). Seneca interessierte offenbar nur das Urteil des Kaisers über den
homo impurus; über die Verfolgung der Mordtat gibt seine Darstellung nur wenig
Aufschluß. Quadra ist von eigenen oder fremden Sklaven getötet worden. Die Täter
sind beinahe freigesprochen, also überführt und verurteilt worden. Trug sich der
Fall vor Erlaß des Silanianum zu, könnte indignum vindicta iudicavit bedeuten, daß
die Strafe ausgesetzt worden ist. Trug er sich nach Erlaß des Silanianum zu: daß die
Strafe ausgesetzt und das Silanianum dispensiert worden ist; oder, wahrscheinlicher,
daß das Silanianum dispensiert worden ist (während die verurteilten Täter ihre
Strafe erlitten haben). In jedem Fall eine Entscheidung prüder Willkürjustiz. - Zu
Sen. nat. 1.16.1: H. Volkmann, Zur Rechtsprechung im Prinzipat des Augustus
(1935) 78ff.; J. Kelly, Princeps iudex (1957) 31 f.; Nörr (1983) 196.
113 Anders D’Ippolito 50ff.; er sieht einen Gegensatz zwischen Kontext und Rede;
glaubt, daß Tacitus Cassius’ Ironie banalisiere, und folgert, daß Tacitus von der
Existenz des Silanianum nichts gewußt habe! Nörr (1983) 207 A. 78 a. E. gibt zu
überlegen, „ob nicht Tacitus hier bewußt Kontext und Rede konfrontiert“.
 
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