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Wolf, Joseph Georg; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1988, 2. Abhandlung): Das Senatusconsultum Silanianum und die Senatsrede des C. Cassius Longinus aus dem Jahre 61 n. Chr.: vorgetragen am 17. Jan. 1987 — Heidelberg: Winter, 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.48153#0036
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Joseph Georg Wolf

durch eine Todesdrohung erzwungen werden. Auch das mag zutreffen.
Warum aber müssen alle Sklaven sub eodem tecto mit dem Tode
bedroht werden, wo es doch nur darum geht, diejenigen zur Hilfelei-
stung zu zwingen, die Hilfe leisten können? Cassius spricht es nicht
aus, aber es liegt auf der Hand. Nur die Bedrohung aller stellt sicher,
daß diejenigen, die helfen können, dem dominus auch wirklich Hilfe
bringen. Und noch mehr: Unter der Strafdrohung des Silanianum wird
es kaum noch einen Sklaven geben, der sich zur Mordtat entschließt.
Denn überlegen wir folgendes: Jeder Täter, damals wie heute, geht
davon aus, daß er nicht gefaßt wird; wenn er damit rechnet, gefaßt zu
werden, führt er die Tat nicht aus. Das senatus consultum läßt dem
Täter aber keine Chance. Auch wenn er der Tat nicht überführt wird,
fällt er als Mitglied der familia unter das Gesetz. Er kann daher ganz
sicher sein: bringt er seinen Herrn um, verliert er auch sein eigenes
Leben. Unter diesen Umständen sind eigentlich nur noch Taten im
Affekt denkbar. Dasselbe gilt für jeden, der den Mordplan verraten
oder dem dominus beistehen könnte: müßte er der unterlassenen Hil-
feleistung überführt werden, könnte er hoffen, der Bestrafung zu ent-
gehen. Unter dem senatus consultum aber kann er des eigenen Todes
gewiß sein, wenn er nicht hilft.
Das senatus consultum Silanianum ist, wie wir jetzt sehen, nicht das
Produkt blinder Angst, sondern kalter Berechnung. Ein teuflischer
Mechanismus, der funktioniert.
Der Preis freilich ist enorm: es ist der kalkulierte Tod vieler Unschul-
diger. Warum war Roms Oberschicht bereit, diesen Preis zu zahlen?
Cassius sagt: um in Sicherheit zu leben121; deutlicher hätte er sagen
können: aus purer Angst vor den eigenen Sklaven.
8. Cassius war sich der unerhörten Grausamkeit des Gesetzes bewußt.
Im Epilog schürt er den Haß auf die Sklaven, um das Gewissen der
Senatoren zu beruhigen. Er verzichtet auf die recapitulatio122 und setzt
unmittelbar mit der indignatio ein.123 Die indignatio soll die Gefühle
der Zuhörer aufpeitschen.124 Cassius hält sich an diese Anweisung.

121 Vgl. auch Plin. epist. 3.14.5.
122 Sie war in einer so kurzen und übersichtlichen Rede auch nicht angebracht; vgl.
Lausberg § 442.
123 14.44.3.
124 Lausberg § 438; Fuhrmann 97 f.
 
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