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Wolf, Joseph Georg; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1988, 2. Abhandlung): Das Senatusconsultum Silanianum und die Senatsrede des C. Cassius Longinus aus dem Jahre 61 n. Chr.: vorgetragen am 17. Jan. 1987 — Heidelberg: Winter, 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.48153#0048
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Joseph Georg Wolf

Im Jahre 58 war Cassius zur Beilegung eines Konflikts nach Puteoli
entsandt worden; nach Tacitus scheiterte die Mission an seiner sever-
itas.18'1 Als nimia severitas, als ‘übergroße Härte’, bezeichnet Tacitus im
Kontext unserer Rede auch die strikte Durchführung des Silanianum,
für die Cassius eintritt.187 188 Und so läßt er Cassius auch selbst reden: mit
unerbittlicher Härte, ohne Wenn und Aber, von Mitleid unberührt.189
Die Gesichtspunkte der Argumentation sind: Sicherheit und Schutz,
Abschreckung und Vergeltung und die Wirksamkeit des Gesetzes.
Wenn Cassius für das Gesetz eintrat, mußte er mit diesen Gesichts-
punkten argumentieren. Das hat Tacitus der Vorlage entnommen.
Auch die Tatmotive wird Tacitus nicht erfunden haben.190 Ob er sie
aber bei Cassius gefunden hat, können wir nicht sagen. Auf das Haupt-
argument für eine Begnadigung, die Hinrichtung Unschuldiger, muß
Cassius dagegen eingegangen sein.191 Aber wieder können wir nicht
sagen, ob er sie auch mit dem gemeinen Nutzen der Strafaktion und
dem Exempel der Heeresdezimierung gerechtfertigt hat.192
Diese Überlegungen führen zu folgendem Ergebnis: Die Rede bringt
uns den historischen Cassius nicht näher.193 Denn sie belegt kaum
mehr, als daß Cassius im Senat gesprochen und gegen die Begnadigung

187 Ann. 13.48. Soziale Spannungen waren offenbar die Ursache des Konflikts; vgl.
Syme I 447. Die Plebs von Puteoli hatte vor dem Senat über die Habgier der
Magistrate und der ‘Reichen’ (primi) Klage geführt, diese über die Gewalttätigkeit
der Menge: Eaque seditio ad saxa et minas ignium progressa ne caedem et arma
proliceret, C. Cassius adhibendo remedio delectus, quia severitatem eius non tolera-
bant, precante ipso ad scribonios frates ea cura transfertur, data cohorte praetoria,
cuius terrore et paucorum supplicio rediit oppidanis concordia. Puteoli war damals
noch Roms Hafen und als Landeplatz auch der ägyptischen Getreideflotte in einer
Schlüsselstellung für die Versorgung der Stadt. - Cassius’ Verzicht in Puteoli ist das
Eingeständnis der Hilflosigkeit, wenn Strenge und Härte nicht zum Ziel führen.
Eine deutliche Markierung der Persönlichkeit und nur halb versteckte Kritik der
alten Tugend. Die severitas vermochte nicht, concordia wiederherzustellen.
188 14.42.2.
189 Siehe auch o. A. 76. Cassius’ severitas ist sozusagen das Markenzeichen seiner
konservativen Gesinnung. Tacitus ordnet sie auch durch die Wortwahl einander zu:
im Kontext nennt er den strikten Vollzug des Silanianum n i m i a severitas (14.42.2),
in der Rede Cassius seine Überzeugung nimius amor antiqui moris (14.43.1).
190 Dazu o. nach A. 90.
191 Dazu o. nach A. 127.
192 Sentenzenhaft schließen etwa auch die Claudiusrede (ann. 11.24.7); Senecas an
Nero gerichtete Rede (14.54.3); Neros Erwiderung (14.56.2); eine Rede im Feldla-
ger (1.28.4).
193 Vgl. Nörr (1983) 220 ff.
 
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