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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0103
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Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende

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einen Stern an, liest an der Gradskala dessen Höhe ab, schlägt in einer
toledanischen Planetentafel den augenblicklichen Sonnenort nach und
ermittelt so die korrekte Nachtstunde. Den Sinn des Blattes enthüllt
sein Platz zu Beginn des Kalenders: Wenn die Dame ihre Matutin
rechtzeitig vor Sonnenaufgang beten wollte, mußte sie den Zeitpunkt
mit dem Astrolab bestimmen lassen.170
Während vornehme Laien noch an der frommen Zielsetzung astro-
nomischer Zeitmessung festhielten, unternahmen selbst naive Geistli-
che mit dem Astrolab schon weltlichere Versuche, die sogar Raimund
von Marseille verblüfft hätten. Davon erfahren wir aus dem kirchlichen
Gesetzbuch Papst Gregors IX., das der katalanische Dominikaner
Raimund von Penafort 1234 zusammenstellte. Vor zwei Generationen,
im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts, war ein italienischer Priester
beschuldigt worden, einen bösen Geist angerufen zu haben. Er hatte
sich vor Papst Alexander III. persönlich verteidigt, daß er keine Teufel
habe zitieren, sondern einen Kirchendiebstahl inspectione astrolabii
aufklären wollen. Dem Bösewicht nachzustellen, war dem Papst als
löblicher Eifer erschienen, es mit dem Astrolab zu versuchen, als
Dummheit. Der gelehrte Richter hatte besser als der Verklagte
begriffen, wozu ein Astrolab taugte und wozu nicht.
So viel Milde wie der damalige Papst ließ der Bettelmönch jetzt nicht
mehr walten. In seinem Handbuch der Bußpraxis griff Raimund von
Penafort den Fall 1235/36 noch einmal auf, verleugnete die Astrolab-
Tradition seiner Heimat und verband die Vorurteile Isidors wirkungs-
voll mit denen Abaelards. Inspectio astrolabii sei invocatio daemonum,
Wahrsagerei, Todsünde. Zwar könnte man den Gebrauch des Astro-
labs zulassen, wenn er ausschließlich astronomischen Zwecken diene.
Da aber alle naturkundlichen Fächer, wiewohl sie einige Wahrheit
enthielten, nichts zur Frömmigkeit beitrügen, sollten Geistliche sie gar
nicht studieren. Die neue Frömmigkeit der Bettelmönche vertrieb die
Wissenschaft Lupitus’ von Barcelona und Hermanns des Lahmen aus

170 Dazu Florens Deuchler, Französische Malerei, in: Otto von Simson, Das
Mittelalter II. Das hohe Mittelalter (Propyläen Kunstgeschichte Bd. 6, 1972) S.
124-139, hier S. 129 mit Farbtafel II; dort sind die technischen Details und ihre
Beziehungen zur Komputistik verkannt. Eine Ablesung des Sonnenorts am
Astrolab selbst hätte bei der inzwischen gängigen Ausstattung mit einem
Ekliptikkreis auf der Rückseite technisch nähergelegen als die Benutzung einer
Tabelle, aber ästhetisch die Dreier-Komposition gestört.
 
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