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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0107
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Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende

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den Astrolabsternen schneidet, und die zwölf Stundenkurven. Er
benutzte es allenfalls zu Demonstrationszwecken für theoretische
Kosmologie; zur Bestimmung der Erdenzeit genügten ihm die Nähe-
rungswerte kirchlicher Komputistik.175
Alberts größerer Schüler, der italienische Dominikaner Thomas von
Aquin, ging um 1255, in seinem ersten Pariser Hauptwerk, über den
Lehrer hinaus und verbannte das Astrolab auch aus der kirchlichen
Praxis, als er von den Terminen der Fastenzeit sprach, vielleicht mit
Seitenblicken auf das Gebetbuch Biancas von Kastilien und auf
islamische Bräuche. „Die Kirche strebt keine Einengung durch raffi-
nierte Zeitkontrolle (subtilis temporis inspectio) an. Um zu wissen,
wann Essenszeit ist, muß man kein Astrolab heranziehen.“ Christen
italienischer Städte fanden sich im Alltag gewiß ohne Astrolab zurecht,
aber brauchten sie es nicht wenigstens für einen stimmigen Kalender?
Wieder unterband Thomas jeden Rückgriff auf Meßinstrumente: „Die
bei ihren Handlungen auf bestimmte Zeiten sehen, setzen einzelne
Himmelskörper zu Göttern und Herrschern über die anderen und
machen Astrolabien“, wie wenn es Götzenbilder wären.176
Der englische Franziskaner Roger Bacon nahm die Korrektur des
Kirchenkalenders viel ernster als der Aquinate, konnte aber dabei das
Astrolab ebenfalls entbehren. In seinem Hauptwerk empfahl er es 1266
nur scheinbar als Hilfsmittel zur Ortsbestimmung auf offener See, also
für Berufstätige, Laien. In einer sternklaren Nacht peile man den
Polarstern an und lese auf der Rückseite des Instruments mit der
Alhidade (yirgd) die Gradhöhe ab. Doch wollte Bacon damit bloß
demonstrieren, daß die Abweichung um einen Grad auf der Erde
Tausende von Meilen ausmacht. Ob er selbst die Sternhöhe mit dem
Astrolab hätte messen können, ist uns fraglich; er dürfte bezweifelt
haben, daß sie überhaupt exakt zu messen war. Seine gelehrten Träume

175 De caelo et mundo II, 4, 8, hg. von Paul Hoßfeld (Alberti Magni opera omnia,
Bd. 5/1, 1971) S. 195 Erde; II, 4, 11 S. 200 Kreise. Super Dionysii Mysticam
Theologiam et epistulas ep. 7, hg. von Paul Simon (ebd. Bd. 37/2, 1978) S. 507
Stundenkurven. Zu Alberts Sternkunde Betsy B. Price, The Physical Astrono-
my and Astrology of Albertus Magnus, in: Albertus Magnus and the Sciences.
Commemorative Essays 1980, hg. von James A. Weisheipl (1980) S. 155-185.
Zur Komputistik Borst, Computus S. 49.
176 In quattuor libros sententiarum IV, 15, 3, 4c, hg. von Roberto Busa, Sancti
Thomae Aquinatis opera omnia, Bd. 1 (1980) S. 514 Fastenzeit. Reportatio in
symbolum apostolorum art. 1, ebd. Bd. 6 (1980) S. 16 Himmelskörper. Zur
Komputistik Borst, Computus S. 49.
 
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