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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 3. Abhandlung): Der Begriff der Würde im antiken Rom und später: vorgetragen am 10. Mai 1969 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48158#0010
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Viktor Pöschl

gung, zugebilligt wird, der in unserer Welt nicht nur überheblich, son-
dern absurd erscheinen würde. Das Seltsame an der römischen dignitas
hebt P. Veyne scharf hervor, indem er sie geradezu mit der Ehre des
Mittelalters vergleicht. Sie sei, so meint er, genau so anspruchsvoll und
donquichottesque wie diese.2 So führt Caesar den Bürgerkrieg um sei-
ner dignitas willen.3 Nach Beendigung der gallischen Feldzüge wollte
man ihm sein militärisches Kommando nehmen, um ihn wegen gesetz-
widriger Handlungen vor Gericht zu ziehen. Das war ein Anschlag
gegen seine dignitas, den er nicht hinnehmen wollte. Vor Ausbruch der
Kampfhandlungen erklärt er in einer Botschaft am Pompeius: sibi sem-
per primam fuisse dignitatem vitaque potiorem (BC 1,9,2).4 5 Seine Geg-
ner bestreiten seinen dignitas-Anspnich nicht, doch fordern sie ihn auf,
ihm eine andere Deutung zu geben. Er müsse entsprechend seiner
Würde seine persönlichen Interessen und seinen Zorn zugunsten des
Gemeinwesens zurückstellen.'’ Dieses Verhalten Caesars stellt keine
Ausnahme dar. Auch Cicero (Sest. 48) und selbst Catilina (Sali. Cat.
35,3) kämpfen um ihre dignitas, ebenso Pompeius6 und Brutus (Cic. ad
Brut. 1,16,5). Antonius erklärt sich bereit, dem Senat zu gehorchen
unter der Voraussetzung, daß er seine dignitas nicht verliere: sed ita ut
teneat dignitatem (Cic. Phil. 12,4). Es ist unvorstellbar, daß ein heutiger
Politiker sein Verhalten so prononciert an seiner Würde orientieren
könnte. Zwei Elemente unseres Lebens- und Sozialgefühls verbieten ein

2 P. Veyne, Le pain et le cirque, Paris 1976, deutsche Übers.: Brot und Spiele. Gesell-
schaftliche Macht und politische Herrschaft in der Antike, aus dem Franz, von K. Laer-
mann und R. Brittnacher, Frankfurt u.a. 1988 (Theorie und Gesellschaft 11).
3 K. Raaflaub, Dignitatis contentio, München 1974, hat ausführlich dargetan, daß Caesars
Anspruch auf dignitas und die ausschließlich persönliche Betrachtungsweise ernst
genommen werden müssen.
4 Über den römischen dignitas-Anspruch, der an den Staat gebunden ist und doch gleich-
sam autonom blieb, seine Voraussetzung und seine Bedeutung handelt Christian Meier
in der Einleitung zu H. Simons Übersetzung von Caesars „Bürgerkrieg“, Bremen 1964
(Sammlg. Dieterich 293), LIXff., und in seinem Buch: Entstehung des Begriffes Demo-
kratie. Vier Prolegomena zu einer historischen Theorie, Frankfurt 1970, 121 ff. Als zwei
Volkstribunen im Jahre 44 Caesar beschuldigen, daß er nach der Königsherrschaft
strebe, geht er gegen sie mit der nota censoria vor, indem er sein Bedauern darüber zum
Ausdruck bringt, daß er entweder seine Natur (d. h. seine Milde) verleugnen oder seine
Würde mindern müsse: testareturque esse sibi miserrimum, quod aut natura sua ei exce-
dendum foret aut minuenda dignitas (Velleius Paterculus 2,68); hierüber O. Kampe, Zur
Persönlichkeit Caesars, Der altsprachliche Unterricht 1955, Heft 7,39ff.
5 Caesarem pro sua dignitate debere et studium et iracundiam suam rei publicae dimittere
(BC 1,8,3). Ubi est autem dignitas nisi ubi honestas?, wendet Cicero ein (Att. 7,11,1).
6 Zur Rivalität der dignitates von Caesar und Pompeius Cic. ad Att. 9,11 A, 2.
 
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