Der Begriff der Würde im antiken Rom
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solches Verhalten: die christliche Demut und die demokratische Ega-
lite. Für uns ist die grundsätzliche Gleichheit aller Bürger, ja aller Men-
schen eine Selbstverständlichkeit. Für die Römer der Republik war
dagegen die an die Person gebundene dignitas eine ebenso unbezweifel-
bare wie selbstverständliche Realität.
Noch etwas anderes erschwert uns den Zugang zur römischen dignitas:
unser Mißtrauen gegen alles Pathetisch-Rhetorische. Dies hat schon
David Hume empfunden, der meinte, daß die Leute, die zum Deklamato-
rischen neigen, gern von der Würde und Größe des Menschen, die iro-
nisch-skeptischen Geister dagegen von seiner Schwäche und Unzuläng-
lichkeit sprechen. Am nächsten kommt der dignitas noch unser Begriff
des Prestiges. Aber gerade ihm fehlt der Glanz, den die römische dignitas
mit der Würde des deutschen Idealismus gemeinsam hat, von der Schiller
sagte: „Würde ist der Ausdruck einer erhabenen Geisteshaltung.“ Pre-
stige ist nüchterner, aber auch eitler, es enthält etwas von geschäftsmäßi-
ger Berechnung und geplanter Meinungsbildung. Nicht zufällig kommt es
von einem lateinischen Wort, das ,Blendwerk, Gaukelei4 bedeutet: prae-
stigia. Die heutige Bedeutung ist im Französischen erst seit dem 18. Jh.
nach und nach entwickelt worden, wobei die lateinische Bedeutung bis
zum Ende des 18. Jhs. daneben noch erhalten blieb. Die Bedeutungsver-
schiebung hat Fritz Schalk in seinem Aufsatz „Praestigium-Prestige“,
Romanische Forschungen 83, 1971, 288-303 geklärt. Der Wandel geht
von ,Zauber als Blendwerk4 über ,Zauber als Fascinosum4 (so beispiels-
weise Diderot: prestige de l’art; Tocqueville: prestige de la royaute) zu der
heutigen Verwendung, die sich fortschreitend auf die politische Bedeu-
tung verengt hat.
In Griechenland gibt es nichts, was dem römischen dignitas-Begriii
genau entspräche, obwohl er in manchen Aspekten griechische Elemente
in sich aufgenommen hat, wie wir noch sehen werden. Der Begriff, der
der römischen dignitas am nächsten steht, ein Zentralbegriff der griechi-
schen Kultur, ist die Ehre (τιμή),7 wie wir auch gelegentlich versucht sind,
dignitas durch ,Ehre‘ wiederzugeben. Auch im Lateinischen selbst
erscheinen immer wieder dignitas und honor als konkurrierende
Begriffe. Von der Wortbildung her stehen im Griechischen die von άξιος
,würdig4 abgeleiteten Begriffe der dignitas am nächsten. An Gehalt,
Leuchtkraft und Frequenz sind sie nicht vergleichbar. ’Αξία, αξίωμα, im
7 K. J. Dover, Greek Popular Morality in the Time of Plato and Aristotle, Oxford 1974. H.
Lloyd-Jones, Ehre und Schande in der griechischen Kultur, Antike u. Abendland 33,
1987, 1-28.
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solches Verhalten: die christliche Demut und die demokratische Ega-
lite. Für uns ist die grundsätzliche Gleichheit aller Bürger, ja aller Men-
schen eine Selbstverständlichkeit. Für die Römer der Republik war
dagegen die an die Person gebundene dignitas eine ebenso unbezweifel-
bare wie selbstverständliche Realität.
Noch etwas anderes erschwert uns den Zugang zur römischen dignitas:
unser Mißtrauen gegen alles Pathetisch-Rhetorische. Dies hat schon
David Hume empfunden, der meinte, daß die Leute, die zum Deklamato-
rischen neigen, gern von der Würde und Größe des Menschen, die iro-
nisch-skeptischen Geister dagegen von seiner Schwäche und Unzuläng-
lichkeit sprechen. Am nächsten kommt der dignitas noch unser Begriff
des Prestiges. Aber gerade ihm fehlt der Glanz, den die römische dignitas
mit der Würde des deutschen Idealismus gemeinsam hat, von der Schiller
sagte: „Würde ist der Ausdruck einer erhabenen Geisteshaltung.“ Pre-
stige ist nüchterner, aber auch eitler, es enthält etwas von geschäftsmäßi-
ger Berechnung und geplanter Meinungsbildung. Nicht zufällig kommt es
von einem lateinischen Wort, das ,Blendwerk, Gaukelei4 bedeutet: prae-
stigia. Die heutige Bedeutung ist im Französischen erst seit dem 18. Jh.
nach und nach entwickelt worden, wobei die lateinische Bedeutung bis
zum Ende des 18. Jhs. daneben noch erhalten blieb. Die Bedeutungsver-
schiebung hat Fritz Schalk in seinem Aufsatz „Praestigium-Prestige“,
Romanische Forschungen 83, 1971, 288-303 geklärt. Der Wandel geht
von ,Zauber als Blendwerk4 über ,Zauber als Fascinosum4 (so beispiels-
weise Diderot: prestige de l’art; Tocqueville: prestige de la royaute) zu der
heutigen Verwendung, die sich fortschreitend auf die politische Bedeu-
tung verengt hat.
In Griechenland gibt es nichts, was dem römischen dignitas-Begriii
genau entspräche, obwohl er in manchen Aspekten griechische Elemente
in sich aufgenommen hat, wie wir noch sehen werden. Der Begriff, der
der römischen dignitas am nächsten steht, ein Zentralbegriff der griechi-
schen Kultur, ist die Ehre (τιμή),7 wie wir auch gelegentlich versucht sind,
dignitas durch ,Ehre‘ wiederzugeben. Auch im Lateinischen selbst
erscheinen immer wieder dignitas und honor als konkurrierende
Begriffe. Von der Wortbildung her stehen im Griechischen die von άξιος
,würdig4 abgeleiteten Begriffe der dignitas am nächsten. An Gehalt,
Leuchtkraft und Frequenz sind sie nicht vergleichbar. ’Αξία, αξίωμα, im
7 K. J. Dover, Greek Popular Morality in the Time of Plato and Aristotle, Oxford 1974. H.
Lloyd-Jones, Ehre und Schande in der griechischen Kultur, Antike u. Abendland 33,
1987, 1-28.