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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 3. Abhandlung): Der Begriff der Würde im antiken Rom und später: vorgetragen am 10. Mai 1969 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48158#0039
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Der Begriff der Würde im antiken Rom

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für den moralischen Aspekt der dignitas kaum Belege bietet, liegen
wichtige Ansätze der Loslösung der moralischen vom politischen
Aspekt und zur Entwicklung zur inneren Würde bei Cicero vor, die dann
unter Überspringung der kaiserzeitlichen Verengung des Begriffes in
der Spätantike, namentlich im christlichen Bereich, zu voller Entfaltung
kam. Eine Wurzel des modernen Begriffes der Menschenwürde liegt
somit bei Cicero, und dies ist, merkwürdig genug, bisher nicht beachtet
worden. Einmal ist wichtig, daß der Philosophenstreit über die Lebens-
ziele bei Cicero zum ersten Mal als Gegensatz zwischen voluptas und
dignitas formuliert wird, so im Dialog De finibus.16 Der griechische
Begriff der Tugend (αρετή) wird hier durch den römischen Lebensbe-
griff der dignitas veranschaulicht, der Selbstbeherrschung und Abkehr
von aller Weichheit und Triebhaftigkeit in sich schließt.
Aber auch das Begriffspaar des Nützlichen und des Guten, des συμ-
φέρον und des καλόν, kann mit utilitas und dignitas wiedergegeben wer-
den. Die Argumentation der Rede, so heißt es in Ciceros Dialog De
oratore, kann sich entweder an der dignitas oder der utilitas orientieren.
In Rom ist das Argument der dignitas immer das Wirksamere, wobei
freilich, wie Cicero ganz im Sinne der griechischen Philosophie hinzu-
fügt, utilitas von dignitas gar nicht zu trennen ist.76 77 Auch hinsichtlich der
Form der Rede stimmen utilitas und dignitas wunderbar überein. Cicero
erläutert dies bei der Behandlung der Rhythmen und Klauseln. Die
musikalische Schönheit, die die Rede durch die rhythmischen Ab-
schnitte und ihre kunstvolle Ausgestaltung erhält, beruht letztlich auf
der Notwendigkeit der Atempause, hat also praktische Gründe. So
76 Fin. 3,1: voluptatem si ipsa pro se loquatur nec tam pertinaces habeat patronos . . . con-
cessuram arbitror. . . dignitati. Otto Büchler übersetzt: „Die Lust würde der inneren
Ehre das Feld räumen“. Madvig war anderer Ansicht: dignitati: non virtuti et honestati
(neque enim dignitas nude sic dicitur), sed amplitudini et splendori virtutis principatu
dignae (vide Tuse. 2,46; de or. 3,62; part. orat. 90), aber er fügt hinzu: tenue tamen
discrimen. In der Tat ist hier keine scharfe Unterscheidung zu treffen, weil bei dem hier
bei Cicero auftretenden Begriff der dignitas die aktive Beteiligung an der Politik impli-
ziert und die Loslösung vom politischen Bereich noch nicht ganz vollzogen ist.
77 Cic. de or. 2,334f.: in suadendo nihil est optabilius quam dignitas; nam qui utilitatem
putat, non quid maxime velit suasor, sed quid interdum magis sequatur, videt. Nemo est
enim, praesertim in tam clara civitate, quin putet expetendam maxime dignitatem; sed
vincit utilitas plerumque, cum subest ille timor, ea neglecta ne dignitatem quidem posse
retineri. . . qui utilitatem defendit, enumerabit commoda pacis, opum, potentiae, vectiga-
lium, praesidi militum, ceterarum rerum, quarum fructum utilitate metimur, itemque
incommoda contrariorum; qui ad dignitatem impellit, maiorum exempla, quae erunt vel
cum periculo gloriosa, colliget, posteritatis immortalem memoriam augebit; utilitatem ex
laude nasci defendet semperque eam cum dignitate esse coniunctam.
 
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