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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 3. Abhandlung): Der Begriff der Würde im antiken Rom und später: vorgetragen am 10. Mai 1969 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48158#0054
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Viktor Pöschl

habe, in der Pflicht bestehe, die allen Menschen auferlegt sei, sich
gegenseitig als gleichberechtigt zu betrachten (De officio hominis et civis
iuxta legem naturalem 1,7,1: in ipso hominis vocabulo judicatur inesse
aliqua dignatio .. . non canis sum, sed aeque homo atque tu). Bei Rous-
seau findet sich der Begriff der Menschenwürde nicht, im Grunde kaum
verwunderlich, denn Rousseau kämpft für Gleichheit und Freiheit, für
die Befreiung von allen Formen der Sklaverei, während dignitas damals
immer noch wie in der Spätantike, im Christentum und in der Renais-
sance durch die Konnotation des Aristokratischen belastet war. Dignitas
bezeichnete das Privileg des Menschen innerhalb der Schöpfung und
forderte den Menschen auf, diesem Privileg entsprechend zu handeln.
Je nachdem, ob der Mensch dieser Aufforderung nachkommt, bilden
sich wieder neue Unterschiede, an denen Rousseau nicht interessiert ist.
Dagegen begegnet der moderne Begriff der Menschenwürde, sehe ich
recht, zum ersten Male bei Kant116, und zwar in den Beobachtungen über
das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764), wo er als Grundprinzip
der Sittlichkeit das „Gefühl von der Schönheit und der Würde der
menschlichen Natur“ bezeichnet (Akademieausgabe II 255f.). In der
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) wird versucht zu erklä-
ren, „wie es zugehe, daß, ob wir gleich unter dem Begriffe von Pflicht
uns eine Unterwürfigkeit unter dem Gesetze denken, wir uns dadurch
doch zugleich eine gewisse Erhabenheit und Würde an derjenigen Per-
son vorstellen, die alle ihre Pflicht erfüllt“ (IV 439). In der Metaphysik
der Sitten (1797) wird dann die Würde der menschlichen Natur aus der
sittlichen Selbstbestimmung des Menschen abgeleitet, was an Gregor
von Nyssa erinnert, der formuliert hatte, die Seele zeige ihre königliche
Würde darin, daß sie unabhängig und selbständig sei, nach eigenen Ent-
schlüssen selbstmächtig waltend (s.o.S. 45) - ein Zusammenhang, der
in der Kantliteratur m. W. nirgends erwähnt wird. Kant schreibt in dem
Kapitel Von der Kriecherei: „Daraus, daß wir einer inneren Gesetzge-
bung fähig sind, daß der physische Mensch den moralischen Menschen
in seiner eigenen Person zu verehren sich gedrungen fühlt, folgt die
höchste Selbstschätzung als Gefühl seines inneren Wertes, dank welcher
er eine unverlierbare innere Würde (dignitas interna)111 besitzt, die ihm
Achtung (reverentia) gegen sich selbst einflößt.“ (VI 436) „Die Mensch-
heit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann von keinem Men-
116 Zu Kant siehe J. Schwartländer, Der Mensch ist Person. Kants Lehre vom Menschen,
Stuttgart 1968.
117 Von innerer Würde spricht Kant, weil dignitas ohne Adjektiv zu sehr den äußeren
Rang bezeichnet.
 
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