Metadaten

Biser, Eugen; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1990, 1. Abhandlung): Die Bibel als Medium: zur medienkritischen Schlüsselposition der Theologie; vorgetragen am 27. Januar 1990 — Heidelberg: Winter, 1990

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48159#0018
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
8

Eugen Biser

noch aus den Impulsen und Formkräften der mündlichen Überlieferung
lebte, die, wie schon Luther erkannte, erst infolge innerer Bedürfnisse
und äußerer Zwänge schriftlich dokumentiert wurde. Wörtlich bezeich-
net er es als einen „großen Abbruch und ein Gebrechen des Geistes,
daß, von der Not erzwungen“, überhaupt Bücher geschrieben werden
mußten.10 Deutlicher wurde der Tatbestand der dokumentierenden
Vermittlung nur noch von Paulus, dem ersten Medienverwender der
Christenheit, angesprochen, als er im Galaterbrief die ihm als Schrift-
steller gezogene Grenze mit dem Wort beklagte:
Ich wollte, ich könnte jetzt bei euch sein und euch auf andere Weise zusprechen; so
aber bin ich ganz ratlos (Gal. 4,20).11
Somit steht nach paulinischer Auffassung der Schriftsteller dem Bot-
schafter im Weg, obwohl er diesem dort zu einer subsidiären Präsenz
verhilft, wo er persönlich nicht anwesend sein und tätig werden kann.
Nur mit Vorbehalten würde sich Paulus deshalb der Ansicht Augustins
anschließen, der den Brief einen „Sermo absentium“ nannte.12 Denn
mit dem Wort verbindet der Apostel die Vorstellung der „Einwirkung“,
die für ihn jedoch an die „andere Stimme“ des Originaltons dialogischer
Rede gebunden ist. Und eben darin bleibt das dialogisch gesprochene
Wort dem Surrogat von Schrift und Text uneinholbar überlegen.
Darin besteht dann aber auch schon die „mediale Differenz“, die in
der Folgezeit trotz aller Hinweise selbstkritischer Medienverwender
mehr und mehr in Vergessenheit geriet. Dabei hatte Paulus mit seinem
Theorem vom „toten Buchstaben“ und „lebendigmachenden Geist“
(2Kor 3,6; Röm. 7,6) bereits den denkbar klarsten Theorieentwurf zur
Erfassung dieser Differenz geboten. Davon geleitet gelang es dann den
Denkern der Folgezeit auch tatsächlich, die Auswirkungen des Ver-
(1 Kor 1,30) umsetzte. Indessen ist gerade an der Aufhellung dieses Vorgangs gelegen,
wenn Entstehung und Recht der für die Textgestalt der Evangelien hochbedeutsamen
sekundären Herrenworte eine befriedigende Erklärung finden sollen.
10 Dazu der Abschnitt „Luther - der Schuldner des Wortes“ meines Sammelbandes
,Glaubensimpulse. Beiträge zur Glaubenstheorie und Religionsphilosophie1, Würz-
burg 1988, 309-323.
11 Dazu Franz Mussner, Der Galaterbrief (Herders Theologischer Kommentar zum
Neuen Testament), Freiburg-Basel-Wien 1981, 44f.; 313ff., dazu auch mein Beitrag
.Das Buch in medienkritischer Sicht1, in: W. Seidel (Hrsg.). Offenbarung durch Bü-
cher? Impulse zu einer Theologie des Lesens, Freiburg 1987, 108-134.
12 Augustinus, Epistola 268,2; dazu K. Thraede, Grundzüge griechisch-römischer
Brieftopik, München 1970, 162-165; ferner F. van der Meer, Augustinus der Seelsor-
ger, Köln 1953, 266 f.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften