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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 1. Abhandlung): Zur Entwicklung von Alphabetschrift-Systemen: is fecit cui prodest; vorgetragen am 21. April 1990 — Heidelberg: Winter, 1991

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48161#0031
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Zur Entwicklung von Alphabetschrift-Systemen

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phik, hochgestellte einzelne Punkte, die Wörter voneinander trennen.
Syntaktische Interpunktion in unserem Sinne ist hier nicht vorhanden,
auch wenn es in der Epigraphik Ansätze dazu gibt.30 Wichtig ist auch
noch, daß als Schrift die leicht lesbare Capitalis verwendet wird, nicht
etwa die Kursive, die sowohl als Scriptio continua wie auch mit Punkten
zur Markierung der Wörter beispielsweise in privatrechtlichen Verträ-
gen der Zeit verwendet wird.31

3(1 Die deutlichsten Ansätze zu Interpunktion als Leseerleichterung sind in den beiden
erhaltenen Fragmenten des Monumentum Ancyranum zu beobachten, also in einem
Text, der wegen seines Propaganda-Charakters auf besonders leichte Lesbarkeit zielte
(Wingo 1972:39-49). Ähnliches gilt schon für die Inschriften, die Asoka im dritten
vorchristlichen Jahrhundert in Indien anbringen ließ. - Am deutlichsten sind in der
juristischen Epigraphik von Anfang an die „Paragraphen“ (capita), also die größeren
Sinneinheiten, und die Wortgrenzen, markiert. Die sonstigen Lesehilfen werden im
allgemeinen ebenso sporadisch verwendet wie die apices auf den Vokalen als Markie-
rung der Quantität bzw. die / longa, also Konventionen, deren systematische Berück-
sichtigung Quintilian (Institutio oratoria 17 2) als ineptissimum bezeichnete: „longis
syllabis omnibus adponere apicem ineptissimum est.“ Der eigentliche Sinn ihrer Set-
zung war die Vermeidung von Leser-Fallen. Vgl. zur I longa und den apices - also den
Akzentzeichen, die in lateinischen Inschriften den Langvokal anzeigen - Flobert 1990.
- Allein die Zahl von 21 verschiedenen Interpunktions-Zeichen, die Wingo (1972:94-
131) in den von ihm berücksichtigten Texten gefunden hat, zeigen die relative Freiheit,
die Lapiziden und Schreiber hatten. In der Tendenz hat sicher Rudolf W. Müller (1964)
recht, wenn er von einer „rhetorischen“ Interpunktion spricht, die nicht gerade an den
Maßstäben der heutigen Syntax gemessen werden sollte, die Wingo acht Jahre nach
Müller in seiner Dissertation anlegt.
31 Bemerkenswert ist, daß in den fünf privatrechtlichen Verträgen aus den erhaltenen
Tabulae Pompeianae, die Joseph Georg Wolf und John Anthony unlängst erneut ediert
haben (Wolf/Crook 1989), der Text auf der Innenseite der tabula in aller Regel mit
Worttrennungs-Punkten geschrieben ist, das Doppel auf der Außenseite dagegen in
Scriptio continua. Der innere Text ist ja der, der im Zweifelsfall gilt. Bemerkenswert ist
aber auch, daß in einem der Verträge (hier: vom 29. 8. 39 n.Chr.) derselbe Ausstel-
lende und Vertragspartner C. Novius Eunus, der am 28. 6. 37, am 2. 7. 37 und am 15. 9.
39 den Innentext der tabula mit Punkten zur Worttrennung versieht, am 29. 8. 38 den
Innentext in Scriptio continua schreibt. Im Außentext werden Punkte nur zur Markie-
rung von Abkürzungen verwendet. - Die späteren tabellae ceratae aus dem Gebiet des
heutigen Rumänien haben Außen- und Innentext in Scriptio continua.
 
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