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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0046
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Ernst A. Schmidt

der Mauern Trojas durch Apollo und Neptun die Geschichte beginnt,
Argonautenfahrt, Herkules und Orpheus dagegen noch zum Mythos ge-
hören. Man fragt sich, woher Ovid, wenn auch nur implizit, diese Kate-
gorien für die Strukturierung seines Epos bezogen haben soll - die der
modernen Aufteilung des Pentateuch in Urgeschichte, Vätergeschich-
ten und Historie entlehnt sind-, zumal wenn der Dichtung (nach Lud-
wigs Ansicht) ein welthistorisches Konzept zugrundeliegen soll, sie also
als ganze Geschichte wäre.
Das Chaos des Anfangs und der Kosmos der augusteischen Gegen-
wart sind nicht durch einen Geschichtsprozeß aufeinander bezogen,
sondern zunächst nur als die Grenzpunkte eines Ganzen, das man „alle
Zeit“ nennen kann. Vgl. dazu Vergil, georg. 4,347 (eine Nymphe unter-
hält beim Spinnen andere Nymphen): „aque Chao densos divum nu-
merabat amores“. Auch das ergibt nicht Geschichte, sondern nur einen
vollständigen1 Katalog. Und auch der Katalog in ecl. 6 von der Kosmo-
gonie über Gallus bis zur Metamorphose von Tereus und Philomela ist
trotz Einsatz mit der Schöpfung nicht geschichtlich.
Das Urchaos wartet zu seiner Überwindung nicht auf Augustus, son-
dern auf die Erschaffung von Kosmos und Mensch. Eine höhere Ord-
nung als diese und eine höhere Sinngebung der Überwindung des Chaos
gibt es in den Metamorphosen nicht. Der augusteische Kosmos dagegen
ist bei Ovid kompositorisch das Gegenstück zur Ermordung lulius Cae-
sars, dargestellt in der Angst und Sorge der Venus und den Vorzeichen,
die auf Caesars Tod deuten (met. 15,760-798). Wie in der Aeneis auf die
Klage der Venus um Aeneas ihr der Vater Jupiter mit einer Trostrede
und Zukunftsverheißung antwortet, so hier nun (met. 15,807ff.), als Ve-
nus versucht, die Ermordung Caesars gegen die Fata zu verhindern
(v. 799-806).
Man könnte also zwar wohl (wenn man meinte, man müßte) die anti-
thetische Folge Caesars Ermordung - augusteische Friedensordnung mit
dem Gegensatzpaar Chaos - Kosmos des Metamorphoseneingangs in
Beziehung setzen (wie es etwa Pfeiffer im Zitat o. S. 41 vorschwebt -
während bei Buchheit eher Eiserne Zeit und Giganten als das uranfängli-
che Chaos den archetypischen Gegensatz zu Augustus bilden); mehr als
eine allgemeine strukturelle Analogie käme aber dabei nicht heraus. Die
von Ovid gewollte, nämlich im Werk gestaltete thematische Analogie zu
der Folge von Unheil und Heil in Caesars Ermordung und Augustus ist
das, was unmittelbar vorher erzählt wird: Pest in Rom und die Überfüh-
rung des Heilandes Aesculapius (met. 15,622-744). Diese Erzählung
schließt mit den Worten: „[. . .] finem [...]/ luctibus imposuit venitque
 
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