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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0117
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Ovids poetische Menschenwelt

115

§ 26 Geschichten von Götterstrafe und -zorn und ihre Verteilung im
Gedicht. Dominanzphasen
Das Thema göttlicher Strafe und Rache wächst aus dem Liebesthema
heraus und ist zunächst mit ihm derart verbunden, daß wir nicht ent-
scheiden können, welchem Thema die Geschichten zuzuweisen sind.
Und das Liebesthema entwickelt sich auch selbst weiter, indem die
Echo- und Narzißgeschichte nicht mehr zum Thema „Götter lieben
Menschen“ gehört, sondern dem Thema zwischenmenschlicher Liebe
präludiert, das in „Pyramus und Thisbe“ {met. 4,53-166) wieder aufge-
nommen werden wird. Der Schwank vom Liebesschiedsrichter Tiresias
ist der Drehpunkt, um den Ovid die thematische Drehbühne seines
Werkes zu einer neuen Konstellation weiterschiebt.
Göttliche Strafe ist zuerst die Katastrophe göttlicher Epiphanie, wie
sie in Actaeon und Semele Unschuldige trifft. In den beiden folgenden
Geschichten des dritten Buches (tyrrhenische Seeräuber, Pentheus)
wird dieses Thema weiterentwickelt, verschoben zu Strafe an den Leug-
nern der Gottheit des Dionysos, wobei die Zerreißung des Pentheus
wiederum noch die pure Erfahrung der numinosen Präsenz des Diony-
sos ist. In beiden Geschichten verschärft die Figur eines Warners (Tire-
sias; Acoetes) die Schuld der Frevler. Die Erzählung von der Metamor-
phose der tyrrhenischen Schiffer ist als Bericht ihres Schiffskapitäns
Acoetes, der als einziger die Göttlichkeit des Knaben Dionysos erkannt
und angebetet und seine Mannschaft gewarnt hatte, in die Pentheusge-
schichte eingelegt. Sie ist als Erzählung vor Pentheus eine weitere War-
nung, nach der Prophezeiung des Tiresias {met. 3,511-526), dem Tadel
und Widerstand des Großvaters Cadmus, des Athamas, Gemahls der
Mutterschwester Ino, der übrigen Verwandtschaft {met. 3,564ff.). Sie
ist als Erzählung von dem spielenden täuschenden Gott {met. 3,608f.
629-631. 650-652) Hinweis darauf, daß in Acoetes der Gott selbst anwe-
send ist {met. 3,658f.), daß Dionysos selbst die Warnung ausspricht.
Die Zerstückelung des Pentheus dient den thebanischen Frauen bzw.
den Böotierinnen {met. 3,733: „Ismenides“) als warnendes Exempel,
und sie begehen den neuen Kult. Das besagen die beiden Schlußverse
von Buch 3 (v. 732f.). Buch 4 beginnt: „At non Alcithoe Minyeias
[. . Wirerwarten die Geschichte ihrer Bestrafung. Ovid erzählt uns-
indem er die Minyastochter Alcithoe und ihre Schwestern spinnen und
weben und dabei einander erzählen läßt - in 334 Versen Liebesgeschich-
ten {met. 4,32/55-388/390). Aber er sagt wiederholt, daß die Minyaden
sich an Bacchus vergehen, sich dem Kult willentlich entziehen {met. 4,1-
 
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