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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0126
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Ernst A. Schmidt

mela-Procne-Itys-Geschichte (met. 6,424-674), die erste Erzählung nach
der Stelle, die traditionell als Götter- und Heroenzeit trennende Zäsur
betrachtet wird, einmal menschliches Gegenstück zu den früheren Ge-
schichten göttlicher Gewalt gegenüber Frauen und als solche auch Ver-
bindungsglied zumal zwischen der Pluto-Proserpina- (met. 5,362ff.) und
der Boreas-Orithyia-Geschichte (met. 6,682-713), die auf das Tereus-
epyllion folgt.11 Sie ist zugleich menschliches Gegenbild zu göttlicher
Rache12, wobei die Form der Rache (Tötung des Sohnes Itys) einerseits
das Tantalus-Pelops-Motiv (met. 6,407f.) aufnimmt und andererseits
die Rache Medeas (met. 7,396) antizipiert, ebenso aber auch das Gegen-
stück zu Niobes schrecklichem Verlust ihrer Kinder bildet.13 Tereus,
Frevler gegenüber Menschen, ist das Pendant zu Lycaon und Pentheus,
Frevlern gegenüber Göttern.
Wenn man meint, die Metamorphosen irgendwo ,historisch1 werden
lassen zu müssen, dann kommt überhaupt nur allenfalls met. 6,421 in
Frage. Dort wird eine Überleitung zu einem neuen Schauplatz auf die
Weise geschaffen, daß Athen als einzige griechische Stadt zum Schicksal
der Niobe nicht kondolierte: „solae cessastis, Athenae./ obstitit officio
bellum“. Von der Charakteristik des Eisernen Geschlechts (met. 1,142),
dem ,Bürgerkrieg4 der Drachensaatkrieger (met. 3,117) und einer Peri-
phrase für Minerva (met. 3,554) abgesehen, tauchen hier Wort und Sa-
che ,Krieg4 zwischen Menschen bzw. Staaten oder Völkern zum ersten

Götterzorn und Götterstrafe tauchen nach der Marsyasgeschichte erst wieder im achten
Buch auf (vgl. o. S. 117).
11 Von den 4 Belegen von „raptor“ in der Bedeutung „Frauenentführer“ (daneben noch
2 andere Belege) steht je einer in diesen 3 Geschichten: met. 5,402; 6,518; 6,710. (Der
vierte Beleg gilt Paris: met. 12,609) (Concordance of Ovid).
12 Vgl. Otis (1970), Conclusion to Ovid, S. 315: „There is vengeance in the Tereus-Philo-
mela but it is a thoroughly human vengeance [. . .]. The important point is that with it a
complete (Kursive EAS) transition from gods to men, from divine to human love, venge-
ance and tragedy is effected.“ Auch hier macht sich die Annahme von ,breaks‘ insofern
geltend, als ein ,vollständiger Übergang4 postuliert wird. Otis fährt fort, die Tereus-
Philomela-Erzählung sei in den Büchern 3-4 antizipiert worden („On the other hand, the
very logic of Ovid’s continuous narrative requires preparation or anticipation of a new
theme [. . .]“) und: „the gods by no means disappear from the scene after the Tereus-
Philomela“. Auch dieser abschließenden Einsicht stimme ich zu (von der impliziten
Fixierung auf Teile und genaue Versstellen abgesehen): „So the Tereus-Philomela im-
plies a major transition: in other words at this point (?) the main narrative or the chief
episodes effectively shift from a divine to a human motivation.“
13 Unrichtig Ludwig (1965), Struktur der Metamorphosen, S. 39: „Nach Niobe erscheint in
Procne nun die zweite berühmte um ihr Kind trauernde Mutter des Mythos.“ Ovid hat
aber gerade das Motiv der Trauer unterdrückt.
 
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