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Hermann Berger
sante liegt im nordindischen Hindi-Urdu vor, wo der Ergativ, der hier
deutlich aus einer früheren Passivkonstruktion hervorgegangen ist, auf
das Präteritum beschränkt wird, während im Präsens die (hier) ältere
Akkusativkonstruktion bleibt; wiederum behelfsmäßig ausgedrückt
also „der Mann schreibt den Brief“, aber „der Brief wurde von dem
Mann geschrieben“. In feiner Beobachtung wird hier der Tatsache
Rechnung getragen, daß, solange die Tätigkeit noch abläuft, ihr Veran-
lasser noch im Mittelpunkt des Interesses steht und damit passender-
weise das grammatische Subjekt ergibt, nach Abschluß der Handlung
aber konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf ihr Ergebnis bzw. auf
den Zustand des Objekts, nicht mehr auf den Täter, der womöglich gar
nicht mehr bekannt ist. Aber die Sichtweise des Burushaski ist radikaler.
Sie weist die beiden Konstruktionstypen nicht wie das Hindi zwei zuein-
ander komplementären Situationstypen zu, sondern erkennt die beiden
sonst einander ausschließenden Auffassungen beide als richtig an und
bringt dies auch in der grammatischen Konstruktion zum Ausdruck. Er-
gativsprachen haben notwendigerweise einen ausgeprägten Sinn für das
Objektgerichtete transitiver Verben und für die damit verbundene vom
Subjekt aufzuwendende höhere Aktivität. Diese kann in besonderen
Fällen als so stark empfunden werden, daß sie sich vom rein Grammati-
schen löst und verselbständigt wird. So kann im Wauana, einer in Co-
lumbien beheimateten Indianersprache der Choco-Familie, in einer
Konstruktion, die Nils M. Holmer als „desde nuestro punto de vista
menos lögico que realista“ bezeichnet, der Ergativ gelegentlich auch bei
intransitiven Verben stehen, wenn das Subjekt ein besonderes Interesse
an der Handlung hat, und bei einem Transitivum fehlen, wenn die
Handlung ohne Interesse ausgeführt wird.16 Für das Burushaski war sei-
nerseits die Empfindung wirksam, daß die Träger von transitiven Hand-
lungen vorwiegend belebte Wesen sind. Tatsächlich sind in anderen
Sprachen Sätze mit transitivem Verbum und unbelebtem Subjekt auch
statistisch im allgemeinen Sprachgebrauch viel seltener als solche mit
belebtem Subjekt; man empfindet auch in Sätzen wie „der Wein erfreut
des Menschen Herz“ oder „der Wind zerschlug die Fensterscheiben“ so
etwas wie eine leise Personifikation. Für das Burushaski, das ein so fei-
nes Gefühl für die Unterscheidung von beseelt und unbeseelt hat, ergibt
sich damit wiederum ein Dilemma, das die Sprache in der für sie be-
zeichnenden Weise löst oder vielmehr nicht löst. Man kann in einer
16 Nils M. Holmer, Estudios Chocoes II: Gramatica comparada de un dialecto del Choco
(1963), p. 106.
Hermann Berger
sante liegt im nordindischen Hindi-Urdu vor, wo der Ergativ, der hier
deutlich aus einer früheren Passivkonstruktion hervorgegangen ist, auf
das Präteritum beschränkt wird, während im Präsens die (hier) ältere
Akkusativkonstruktion bleibt; wiederum behelfsmäßig ausgedrückt
also „der Mann schreibt den Brief“, aber „der Brief wurde von dem
Mann geschrieben“. In feiner Beobachtung wird hier der Tatsache
Rechnung getragen, daß, solange die Tätigkeit noch abläuft, ihr Veran-
lasser noch im Mittelpunkt des Interesses steht und damit passender-
weise das grammatische Subjekt ergibt, nach Abschluß der Handlung
aber konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf ihr Ergebnis bzw. auf
den Zustand des Objekts, nicht mehr auf den Täter, der womöglich gar
nicht mehr bekannt ist. Aber die Sichtweise des Burushaski ist radikaler.
Sie weist die beiden Konstruktionstypen nicht wie das Hindi zwei zuein-
ander komplementären Situationstypen zu, sondern erkennt die beiden
sonst einander ausschließenden Auffassungen beide als richtig an und
bringt dies auch in der grammatischen Konstruktion zum Ausdruck. Er-
gativsprachen haben notwendigerweise einen ausgeprägten Sinn für das
Objektgerichtete transitiver Verben und für die damit verbundene vom
Subjekt aufzuwendende höhere Aktivität. Diese kann in besonderen
Fällen als so stark empfunden werden, daß sie sich vom rein Grammati-
schen löst und verselbständigt wird. So kann im Wauana, einer in Co-
lumbien beheimateten Indianersprache der Choco-Familie, in einer
Konstruktion, die Nils M. Holmer als „desde nuestro punto de vista
menos lögico que realista“ bezeichnet, der Ergativ gelegentlich auch bei
intransitiven Verben stehen, wenn das Subjekt ein besonderes Interesse
an der Handlung hat, und bei einem Transitivum fehlen, wenn die
Handlung ohne Interesse ausgeführt wird.16 Für das Burushaski war sei-
nerseits die Empfindung wirksam, daß die Träger von transitiven Hand-
lungen vorwiegend belebte Wesen sind. Tatsächlich sind in anderen
Sprachen Sätze mit transitivem Verbum und unbelebtem Subjekt auch
statistisch im allgemeinen Sprachgebrauch viel seltener als solche mit
belebtem Subjekt; man empfindet auch in Sätzen wie „der Wein erfreut
des Menschen Herz“ oder „der Wind zerschlug die Fensterscheiben“ so
etwas wie eine leise Personifikation. Für das Burushaski, das ein so fei-
nes Gefühl für die Unterscheidung von beseelt und unbeseelt hat, ergibt
sich damit wiederum ein Dilemma, das die Sprache in der für sie be-
zeichnenden Weise löst oder vielmehr nicht löst. Man kann in einer
16 Nils M. Holmer, Estudios Chocoes II: Gramatica comparada de un dialecto del Choco
(1963), p. 106.