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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]; Heger, Klaus [Gefeierte Pers.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1992, 2. Abhandlung): Junktion: eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration ; vorgetragen am 4. Juli 1987 ; Klaus Heger zum 22.6.1992 — Heidelberg: Winter, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.48166#0023
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I. Einzelsprachliche Beobachtungen

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5. Der integrativste Ausdruck von Relationen
Es dürfte aufgefallen sein, daß auf Ebene VI zwei Relationen angegeben
sind, die nicht mit präpositionalen Fügungen belegt sind. Dies sind die
Relationen 3 (Verursacher) und 10 (Verursachtes/Betroffenes). Der
Grund dafür, daß sie dennoch aufgeführt sind, liegt letztlich darin, daß
die ersten zehn Relationen auf dem Faltblatt der generellen Rubrik
Charakterisierung eines Geschehens1 zugeordnet sind. Ein Geschehen
oder eine Handlung können nicht nur im Hinblick auf die Ursache, das
Mittel oder Instrument, die Mitbeteiligung und dergleichen charakteri-
siert werden: der Verursacher und das Verursachte sind mindestens
ebenso wichtige Konstituenten von Geschehen20. Warum aber, so wird
man sich fragen, gibt es zur Ursache und zum Verursachten offensicht-
lich keine präpositionalen Fügungen, wenn die betreffenden Relationen
doch von solcher Bedeutung sind? Die Antwort dürfte lauten: weil der
Verursacher und das Verursachte für uns im allgemeinen so wichtig sind,
daß sie in fast jedem Satz ausgedrückt und deshalb mit anderen, einfa-
cheren Mitteln realisiert werden: mit einfachen Verhältniswörtern,
durch Kasusmorpheme, durch beides, durch Position, oder durch
Grammeme am Verb. Im deutschen passiven Satz ist der Verursacher
durch von gekennzeichnet, im Französischen durch de oder par usw. Im
20 Eine der interessantesten Disziplinen unserer Zeit, die vor allem im Rahmen der Biolo-
gie, der Zoologie und der Ethologie betriebene evolutionäre Erkenntnistheorie1, be-
tont gerade im Bereich des Ursachendenkens die z.T. fatale (weil immer nur auf eine
Ursache ausgerichtete) Programmiertheit des menschlichen Denkens. Vgl. hierzu etwa
Rupert Riedl 21984, insbesondere das Kapitel II.3.3, „Die Ursachen des Ursachenden-
kens“ (S. 123-163). - Vgl. weiterhin Gerhard Vollmer (41987). - Grundlegend für die
evolutionäre Erkenntnistheorie ist ein Aufsatz von Konrad Lorenz aus dem Jahre 1941.
Der Grundgedanke ist derjenige der evolutionären Adaptation an die Umwelt, die Le-
benstüchtigkeit und Überlebenschancen sichert. Zu dieser Adaptation gehört - ohne
daß man im einzelnen zu erläutern bräuchte, wieso dies überlebensnotwendig sein kann
- die Frage nach dem Verursacher in allen Fällen, in denen etwas geschieht*. - Immer
wieder zitiert wird aus dem Lorenzschen Aufsatz von 1941 der folgende Passus: „Unsere
vor jeder individuellen Erfahrung festliegenden Anschauungsformen und Kategorien
passen aus ganz denselben Gründen auf die Außenwelt, aus denen der Huf des Pferdes
schon vor seiner Geburt auf den Steppenboden, die Flosse des Fisches, schon ehe er dem
Ei entschlüpft, ins Wasser paßt. Bei keinem derartigen Organ glaubt irgendein vernünf-
tiger Mensch, daß eine Form dem Objekte seine Eigenschaften „vorschreibe“, sondern
jedermann nimmt als selbstverständlich an, daß das Wasser seine Eigenschaften völlig
unabhängig von der Frage besitzt, ob Fischflossen sich mit ihnen auseinandersetzen oder
nicht (. . .). Aber ausgerechnet bezüglich der Struktur und Funktionsweise seines eige-
nen Gehirnes nimmt der Transzendentalphilosoph grundsätzlich anderes an.“
 
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