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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]; Heger, Klaus [Gefeierte Pers.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1992, 2. Abhandlung): Junktion: eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration ; vorgetragen am 4. Juli 1987 ; Klaus Heger zum 22.6.1992 — Heidelberg: Winter, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.48166#0169
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IV. Die diachronische Perspektive

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Sinne des Typs b behandelt. Oben wurde bereits cura cha (cura aus lat.
,qua hora‘) zu Typ b gerechnet. In der heutigen Sprache werden auch
Formen wie inguottadamain cha ,obwohl· (aus ,ne guttam de minus4) so
verstanden. Charakteristisch für das engadinische Rätoromanische
scheint dabei die quasi obligatorische Signalisierung der Integration
durch cha geworden zu sein. Eine ähnliche Entwicklung ist in bestimm-
ten Dialektzonen Deutschlands mit daß zu beobachten: nachdem daß,
bevor daß, obwohl daß etc.
Eine Folge der Entwicklung von weniger integrativen Verfahren zu
integrativeren ist darin zu sehen, daß in den frühen romanischen Texten
häufig nicht entschieden werden kann, ob - in heutiger geläufiger Inter-
pretation - „Subordination“ oder „Koordination“ anzusetzen ist. Was in
Wirklichkeit vorliegt, ist das Wandern innerhalb der Dimension ,Junk-
tion‘ von einer stärker aggregativen zu einer stärker integrativen Tech-
nik - dies gilt offenbar genau so für den Übergang vom Alt- zum Mittel-
hochdeutschen20. Es handelt sich also um einen Grammatikalisierungs-
prozeß im Rahmen einer ,Dimension4 (im universalistischen Verständ-
nis)21.
Während im Französischen eine Tendenz zur Ausstattung der Kon-
junktionen mit dem integrierenden Element que vorhanden ist, gibt es
in überseeischen Varianten des Französischen die entgegengesetzte
Tendenz. Cynthia Stäbler hat festgestellt, daß im Louisiana-Französi-
schen, dem sogenannten Cadien oder français cadien, das Element que
2U Ehrliholzer (1965) und auch Ricarda Liver (1969) sehen dies deutlich. Dagegen geht
Reinhilt Richter-Bergmeier (1990) in ihrer - in anderer Weise verdienstvollen - Arbeit
von der heutigen Interpretation aus und unterscheidet zwei Konnexionstypen: ,connes-
sione esplicita' (mit jungierendem ehe) und ,giustapposizione‘ ohne jenes ehe, das nach
heutigem Verständnis stehen müßte. Was sie dabei beschreibt, ist, in historischer Per-
spektive, wohl eher ein Phantom. - Vgl. zum Alt- und Mittelhochdeutschen Klaus
Fleischmann (1973). Fleischmann will für das Althochdeutsche noch nicht von „Neben-
sätzen“ reden, weil die Unterscheidungskriterien zwischen Haupt- und Nebensätzen
noch nicht eindeutig sind, also insbesondere die Zweitstellung des finiten Verbs im
Hauptsatz und das Vorliegen spezifischer, eindeutiger Junktoren für „Nebensätze“.
21 Es ist bedauerlich, daß Robert de Dardel bei seinem Versuch einer Rekonstruktion der
„konjunktionalen Subordinatoren des Gemeinromanischen“ sein Augenmerk vor allem
auf die synthetischen oder früh synthetisierten Formen (quia, quod etc.; quomodo,
quare) gerichtet hat und kaum auf die - sehr produktiven - Verfahren, die die beiden
obigen Typen darstellen. Die beiden einzigen Ausnahmen sind kausales und finales
PRO KE (die sich durch den Modus der integrierten Sachverhaltsdarstellung unter-
scheiden). Vgl. Robert de Dardel (1983). - Am Anfang erweckt de Dardel den Ein-
druck, er gehe von einer eher skalar zu bezeichnenden Auffassung von Ko- und Subordi-
nation aus. Dies erweist sich im ganzen jedoch als ein falscher Eindruck.
 
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