Monotheismus
9
die historische Dimension des Phänomens in den Vordergrund zu
stellen. Unbestreitbar tritt das Einheitsthema in den späteren Tex-
ten viel stärker hervor als früher. Die einseitig politische Interpreta-
tion dieser Entwicklung halte ich jedoch für eine allzu biblische
Sicht der Dinge.
Die dritte Theorie ist viel älter, sie wird schon von den Grün-
dungsvätern der Ägyptologie vertreten und von Hornung mit ganz
besonderem Nachdruck zurückgewiesen. Sie basiert im Grunde auf
einer wissenssoziologischen Argumentation. Sie unterscheidet zwi-
schen einer praktischen und einer spekulativen Religion, zwischen
Volksglauben und priesterlicher Philosophie, zwischen polytheisti-
scher Fagade und monotheistischem Kern. In den Thematisierun-
gen der Einheit und Einzigkeit sieht sie die Äußerungen eines eso-
terischen Monotheismus für Eingeweihte.14 Polytheismus und
Monotheismus werden in dieser Theorie auf verschiedene Träger-
kreise verteilt.
Mit dieser Theorie hat Hornungs vor 22 Jahren erschienenes
Buch, wie es scheint, endgültig aufgeräumt. Wenn ich trotzdem die-
ses scheinbar erledigte Thema wieder aufgreife, dann unter dem
Eindruck der Quellen: und zwar einer erheblichen Menge altägypti-
scher Hymnen, die sehr emphatisch von der Einheit und Einzigkeit
Gottes sprechen und denen die jetzt vorherrschende Interpretation
nicht ganz gerecht wird. Dieser Interpretation zufolge haben wir es
hier nicht mit Monotheismus, sondern mit Henotheismus zu tun.15
Der Unterschied wird so definiert: der Monotheismus schließt die
Existenz anderer Götter radikal aus; unter „Henotheismus“ dage-
gen versteht man einen Monotheismus des Affekts und der Stim-
mung, der im Augenblick des Lobpreises einen Gott über alle übri-
gen Mitglieder der als solcher aber nicht geleugneten polytheisti-
schen Götterwelt als den Einzigen heraushebt.16 Ich möchte hier
14 Diesen Ausdruck prägte kein Geringerer als Thomas Mann, in: „Die Einheit des
Menschengeistes“ (Gei. WerkeX, 752), wo er schreibt: „,die Götter“ sind genau-
genommen, zumindest für das esoterische Wissen, nur Sonder-Erscheinungs-
formen von ihm (seil. Marduk)“. Mann bezieht sich auf A. Jeremias, s. Anm. 1.
15 Für die Ägyptologie ist hier v. a. E. Hornung zu nennen, für die Assyriologie
etwa B. Hartmann, „Monotheismus in Mesopotamien?“, in: O. Keel (Hrsg.),
Monotheismus im Alten Israel und seiner Umwelt, 49-81.
16 Zur Begriffsbestimmung: Unter „Monolatrie“ versteht man die Verehrung eines
einzigen Gottes, die die Verehrung anderer, als solcher nicht geleugneter Götter
ausschließt. Als „Monotheismus“ im strengen Sinne gilt der Glaube an einen
9
die historische Dimension des Phänomens in den Vordergrund zu
stellen. Unbestreitbar tritt das Einheitsthema in den späteren Tex-
ten viel stärker hervor als früher. Die einseitig politische Interpreta-
tion dieser Entwicklung halte ich jedoch für eine allzu biblische
Sicht der Dinge.
Die dritte Theorie ist viel älter, sie wird schon von den Grün-
dungsvätern der Ägyptologie vertreten und von Hornung mit ganz
besonderem Nachdruck zurückgewiesen. Sie basiert im Grunde auf
einer wissenssoziologischen Argumentation. Sie unterscheidet zwi-
schen einer praktischen und einer spekulativen Religion, zwischen
Volksglauben und priesterlicher Philosophie, zwischen polytheisti-
scher Fagade und monotheistischem Kern. In den Thematisierun-
gen der Einheit und Einzigkeit sieht sie die Äußerungen eines eso-
terischen Monotheismus für Eingeweihte.14 Polytheismus und
Monotheismus werden in dieser Theorie auf verschiedene Träger-
kreise verteilt.
Mit dieser Theorie hat Hornungs vor 22 Jahren erschienenes
Buch, wie es scheint, endgültig aufgeräumt. Wenn ich trotzdem die-
ses scheinbar erledigte Thema wieder aufgreife, dann unter dem
Eindruck der Quellen: und zwar einer erheblichen Menge altägypti-
scher Hymnen, die sehr emphatisch von der Einheit und Einzigkeit
Gottes sprechen und denen die jetzt vorherrschende Interpretation
nicht ganz gerecht wird. Dieser Interpretation zufolge haben wir es
hier nicht mit Monotheismus, sondern mit Henotheismus zu tun.15
Der Unterschied wird so definiert: der Monotheismus schließt die
Existenz anderer Götter radikal aus; unter „Henotheismus“ dage-
gen versteht man einen Monotheismus des Affekts und der Stim-
mung, der im Augenblick des Lobpreises einen Gott über alle übri-
gen Mitglieder der als solcher aber nicht geleugneten polytheisti-
schen Götterwelt als den Einzigen heraushebt.16 Ich möchte hier
14 Diesen Ausdruck prägte kein Geringerer als Thomas Mann, in: „Die Einheit des
Menschengeistes“ (Gei. WerkeX, 752), wo er schreibt: „,die Götter“ sind genau-
genommen, zumindest für das esoterische Wissen, nur Sonder-Erscheinungs-
formen von ihm (seil. Marduk)“. Mann bezieht sich auf A. Jeremias, s. Anm. 1.
15 Für die Ägyptologie ist hier v. a. E. Hornung zu nennen, für die Assyriologie
etwa B. Hartmann, „Monotheismus in Mesopotamien?“, in: O. Keel (Hrsg.),
Monotheismus im Alten Israel und seiner Umwelt, 49-81.
16 Zur Begriffsbestimmung: Unter „Monolatrie“ versteht man die Verehrung eines
einzigen Gottes, die die Verehrung anderer, als solcher nicht geleugneter Götter
ausschließt. Als „Monotheismus“ im strengen Sinne gilt der Glaube an einen