Metadaten

Assmann, Jan; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1993, 2. Abhandlung): Monotheismus und Kosmotheismus: ägyptische Formen eines "Denkens des Einen" und ihre europäische Rezeptionsgeschichte ; vorgetragen am 24. April 1993 — Heidelberg: Winter, 1993

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48168#0020
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
18

Jan Assmann

Partei lautet "Εν και παν, Eines und Alles.39 Die Formel stammt aus
dem Corpus Hermeticum und der alchemistischen Tradition40, die
sich ebenfalls auf Ägypten zurückführte41, und sie dient als Signatur
eines pantheistischen Spinozismus, der im späten 18. Jahrhundert
die aufgeklärteste, philosophisch vertretbarste Sufe der - oder auch
Gegenposition zur - religiösen Tradition darstellte.42 Friedrich
Heinrich Jacobi hat die Formel Έν καί παν in seinem 1785 erschie-
nenen Buch „Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn
Moses Mendelssohn“ bekannt gemacht.43 Seitdem ist sie in aller
Munde; sie spielt bei Herder, Hölderlin, Goethe, Schelling eine
Rolle. Jacobi hat sie von Lessing, den er 1780, kurz vor dessen Tod,

39 Zum Folgenden vgl. bes. U. Hölscher, Empedokles und Hölderlin, Frankfurt
1965, 48-54.
40 Hen kai/topan als Hermetische Devise: Festugiere, C. Η. II, 23 4 ff. n. 8.; Festu-
giere 1946,55-71; Als Alchemistische Devise: Alchim. grecs I 84,13. Cf. J. Ass-
mann, Zeit und Ewigkeit im Alten Ägypten, Heidelberg 1975,31 n.94; id., „Primat
und Transzendenz. Struktur und Genese der ägyptischen Vorstellung eines
,Höchsten Wesens“', in: W. Westendorf (ed.), Aspekte der spätägyptischen Reli-
gion, Wiesbaden 1979, 38.
41 Vgl. hierzu J. Lindsay, The Origins of Alchemy in Graeco-Roman Egypt, London
1970. Bisher hat man die Formel meist auf Heraklit zurückgeführt: έν πάντα
είναι (Diels-Kranz, Fragmente der Vors. I Nr. 22, Fr. 50) sowie auf die „stoische
Lehre von der kosmischen Alleinheit, wie sie Seneca formuliert: ‘Dies All, das
du erblickst, worin Göttliches und Menschliches beschlossen liegt, ist Eines;
wir sind Glieder eines großen Leibes’“ (U. Hölscher, Empedokles, 48). Die neo-
platonische, hermetische und alchemistische Tradition, die man im 18. Jh. im
Gefolge von Giordano Bruno als ägyptische verstand, ist jedoch dichter und
expliziter, auch wenn sich die genaue Form έν και παν hier ebensowenig bele-
gen läßt wie in der älteren griechischen. Die allernächste Parallele findet sich in
der graeco-aegyptischen Zauberliteratur: PGM XIII 980 wird ein Buch zitiert
mit dem Titel έν και το παν als Band V der „Ptolemaika“. Diese Quelle konnte
zwar Lessing nicht gekannt haben. Aber sie zeigt m.E., wo der ursprüngliche
geschichtliche Ort der Formel und der darin auf den Punkt gebrachten kosmo-
theistischen All-Einheitslehre zu suchen ist. Vgl. auch Anm. 44.
42 Vgl. hierzu U. Hölscher, Empedokles und Hölderlin, Frankfurt 1965,48-54 sowie
T. McFarland, Coleridge and the Pantheist Tradition, Oxford 1969. Vgl. auch D.
Henrich (Hrsg.), All-Einheit. Wege eines Gedankens in Ost und West, Stuttgart
1985.
43 H. Scholz, Die Hauptschriften zum Pantheismusstreit zwischen Jacobi und
Mendelssohn, Berlin 1916, vgl. H. Folkers, „Das immanente Ensoph. Der kabba-
listische Kern des Spinozismus bei Jacobi, Herder und Schelling“, in: Chr.
Schulte (Hrsg.), Kabbalah und Romantik (im Druck). Ich danke H. Folkers herz-
lich für die Möglichkeit zur Einsichtnahme in seinen noch unpublizierten Auf-
satz sowie für ausführliche mündliche Unterrichtung.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften