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Jan Assmann
nophis zusammengetriebenen Aussätzigen verschanzen sich in der
Stadt Awaris, der Hyksos-Hauptstadt im Ostdelta. Moses alias Osar-
siph wirft sich zu ihrem Führer auf, indem er ihnen Gesetze gibt, die
alles verbieten, was in Ägypten Brauch, und alles vorschreiben, was
in Ägypten tabu ist. Das jüdische Gesetz erscheint in dieser Darstel-
lung also als nichts anderes als eine bewußte kontradistinktive Ver-
kehrung der ägyptischen Religion und Lebensform. Dazu gehört
auch das Bilderverbot. Der Monotheismus wird zwar nicht explizit
erwähnt, sondern nur die Verfolgung der ägyptischen Kulte und
Götterbilder. Das hängt mit der unverkennbar polemischen Ten-
denz dieses Berichts zusammen. Aber es erscheint mir unfraglich,
daß er implizit im Motiv des Ikonoklasmus enthalten ist. Die jüdi-
sche Religion war Manetho, der zur Zeit der Septuaginta-Überset-
zung lebte, zweifellos in ihren Grundzügen bekannt. Offenbar emp-
fanden die Ägypter die jüdische Lebensform als antiägyptischen
Affront, worin ihnen der starke antiägyptische Impuls der hebräi-
schen Texte, vor allem derExodus-Überlieferungjaauch sehr entge-
genkam.56
Grenze. Das Motiv des Aussatzes spielt bei Schiller eine große Rolle. Er erklärt
ihn als eine infolge jahrhundertelanger Unterdrückung und Verelendung bei
den Hebräern endemisch gewordene Seuche und verweist auf die entsprechen-
den Abschnitte des mosaischen Gesetzes (z. B. Lev 13).
Eine etwas abweichende Darstellung derselben Geschichte gibt Chairemon.
Hier erscheint Isis dem König in einer Traumoffenbarung und tadelt ihn für die
Zerstörung eines Tempels in Kriegszeiten. Der priesterliche Schreiber Phriti-
bantes (= der Oberste des Tempels) gibt ihm den Rat, die Göttin durch Austrei-
bung der Aussätzigen zu besänftigen. Daraufhin treibt der König 250000 Aus-
sätzige zusammen und verbannt sie aus dem Land. Ihre Anführer waren Moses
und Joseph. In Pelusium stoßen 380000 Auswanderer zu ihnen, denen König
Amenophis die Ausreise verweigert hat. Zusammen erobern sie Ägypten, der
König muß nach Nubien fliehen und erst seinem Sohn und Nachfolger Ramses
gelingt es, die „Juden“ nach Syrien zu vertreiben und Ägypten zurückzuer-
obern. Zu Chairemon vgl. P. W. van der Horst, Chaeremon. Egyptian Priest and
Philosopher, Leiden 1984, bes. 8f. und 49f.
56 Vgl. hierzu J. Yoyotte, „L’Egypte ancienne et les origines de l’antijudaisme“, in:
RHR 163, 1963, 133-143. Eine in vielen Punkten entsprechende Erzählung des
Exodus findet sich bereits bei Hekataios von Abdera. Dort nehmen die Ereig-
nisse ihren Ausgang von einer Pest, die in Ägypten wütet. In der Absicht, die
erzürnten Götter zu versöhnen und zu reineren Kult- und Lebensformen zu-
rückzukehren, werden die Fremden aus Ägypten vertrieben. Die einen gründen
Kolonien in Griechenland, die anderen in Palästina. Moses wirkt als Gründer
und Gesetzgeber der Jerusalemer Kolonie. Vgl. Μ. Stern, a.a.O., 20-44. Eine
ähnliche Tradition findet sich bei Tacitus. Während einer Pest in Ägypten habe
Jan Assmann
nophis zusammengetriebenen Aussätzigen verschanzen sich in der
Stadt Awaris, der Hyksos-Hauptstadt im Ostdelta. Moses alias Osar-
siph wirft sich zu ihrem Führer auf, indem er ihnen Gesetze gibt, die
alles verbieten, was in Ägypten Brauch, und alles vorschreiben, was
in Ägypten tabu ist. Das jüdische Gesetz erscheint in dieser Darstel-
lung also als nichts anderes als eine bewußte kontradistinktive Ver-
kehrung der ägyptischen Religion und Lebensform. Dazu gehört
auch das Bilderverbot. Der Monotheismus wird zwar nicht explizit
erwähnt, sondern nur die Verfolgung der ägyptischen Kulte und
Götterbilder. Das hängt mit der unverkennbar polemischen Ten-
denz dieses Berichts zusammen. Aber es erscheint mir unfraglich,
daß er implizit im Motiv des Ikonoklasmus enthalten ist. Die jüdi-
sche Religion war Manetho, der zur Zeit der Septuaginta-Überset-
zung lebte, zweifellos in ihren Grundzügen bekannt. Offenbar emp-
fanden die Ägypter die jüdische Lebensform als antiägyptischen
Affront, worin ihnen der starke antiägyptische Impuls der hebräi-
schen Texte, vor allem derExodus-Überlieferungjaauch sehr entge-
genkam.56
Grenze. Das Motiv des Aussatzes spielt bei Schiller eine große Rolle. Er erklärt
ihn als eine infolge jahrhundertelanger Unterdrückung und Verelendung bei
den Hebräern endemisch gewordene Seuche und verweist auf die entsprechen-
den Abschnitte des mosaischen Gesetzes (z. B. Lev 13).
Eine etwas abweichende Darstellung derselben Geschichte gibt Chairemon.
Hier erscheint Isis dem König in einer Traumoffenbarung und tadelt ihn für die
Zerstörung eines Tempels in Kriegszeiten. Der priesterliche Schreiber Phriti-
bantes (= der Oberste des Tempels) gibt ihm den Rat, die Göttin durch Austrei-
bung der Aussätzigen zu besänftigen. Daraufhin treibt der König 250000 Aus-
sätzige zusammen und verbannt sie aus dem Land. Ihre Anführer waren Moses
und Joseph. In Pelusium stoßen 380000 Auswanderer zu ihnen, denen König
Amenophis die Ausreise verweigert hat. Zusammen erobern sie Ägypten, der
König muß nach Nubien fliehen und erst seinem Sohn und Nachfolger Ramses
gelingt es, die „Juden“ nach Syrien zu vertreiben und Ägypten zurückzuer-
obern. Zu Chairemon vgl. P. W. van der Horst, Chaeremon. Egyptian Priest and
Philosopher, Leiden 1984, bes. 8f. und 49f.
56 Vgl. hierzu J. Yoyotte, „L’Egypte ancienne et les origines de l’antijudaisme“, in:
RHR 163, 1963, 133-143. Eine in vielen Punkten entsprechende Erzählung des
Exodus findet sich bereits bei Hekataios von Abdera. Dort nehmen die Ereig-
nisse ihren Ausgang von einer Pest, die in Ägypten wütet. In der Absicht, die
erzürnten Götter zu versöhnen und zu reineren Kult- und Lebensformen zu-
rückzukehren, werden die Fremden aus Ägypten vertrieben. Die einen gründen
Kolonien in Griechenland, die anderen in Palästina. Moses wirkt als Gründer
und Gesetzgeber der Jerusalemer Kolonie. Vgl. Μ. Stern, a.a.O., 20-44. Eine
ähnliche Tradition findet sich bei Tacitus. Während einer Pest in Ägypten habe