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Assmann, Jan; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1993, 2. Abhandlung): Monotheismus und Kosmotheismus: ägyptische Formen eines "Denkens des Einen" und ihre europäische Rezeptionsgeschichte ; vorgetragen am 24. April 1993 — Heidelberg: Winter, 1993

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https://doi.org/10.11588/diglit.48168#0037
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Monotheismus

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unversöhnliche Gegensätze bilden. Bei Echnaton äußert sich dieser
Impuls rationalistisch: er braucht die vielen Götter nicht, weil er die
die Welt erschaffenden und in Gang haltenden Energien auf ein
einziges Prinzip zurückführen zu können glaubt. In der Bibel äußert
sich dieser Impuls politisch: als Treue zu einem einzigen Gott. Ech-
natons Monotheismus ist kosmologisch, eine religiös interpretierte
Naturphilosophie. Der biblische Monotheismus ist historisch, poli-
tisch und moralisch, er findet seinen zentralen Ausdruck in
Geschichtserzählung, Gesetzgebung und Verfassung.
Beide Monotheismen sind revolutionär. Sie wachsen nicht evo-
lutionär aus älteren Religionsstufen hervor, sondern verdanken
sich, in den Worten Erik Hornungs, einem „völligen Umschlag des
Denkens“.83 In beiden Fällen wird das Neue mit revolutionärer
Gewalt durchgesetzt. In Ägypten lassen sich die Spuren dieser
Gewalt noch heute an den Denkmälern ablesen84, in Israel lesen wir
ihr Echo im Bericht der Josianischen Kultreform. In dieser Gewalt
äußert sich der antipolytheistische Impuls.
Anders als in Israel hat sich aber in Ägypten die monotheistische
Reform nicht durchgesetzt, sondern ist mit dem Tod ihres Stifters
verfolgt und vergessen worden. Trotzdem hat aber diese Episode
die ägyptische Religion von Grund auf verändert und ein Denken
des Einen in Gang gesetzt, das seinen Ausdruck in neuen theologi-
schen Konzepten fand.

4. „Denken des Einen“ in Ramessidischen Hymnen.
Die Amarna-Religion setzt ein Denken des Einen in Gang, und
sie entspringt ihrerseits einem Denken des Einen. Dieses Denken
findet in Ägypten seinen Ausdruck nicht in philosophischen Wer-
ken, sondern in Sonnenhymnen, von denen uns viele Hunderte
erhalten sind. Die Amarnazeit und ihr zeitlicher Kontext, das „Neue
Reich“ (18.-20. Dynastie) können als die Blütezeit dieser Gattung
gelten. Diese Hymnen machen deutlich, wo die Amarna-Revolu-

83 Der Eine und die Vielen, 239.
84 Vgl. Ramadan Saad, Les martelages de la xviii.e dynastie dans le temple d'Amon-
Re ä Karnak, unpubl. Diss. (1972), Lyon; R. Hari, „La religion amarnienne et la
tradition polytheiste“, in: Studien zur Sprache und Religion Ägyptens (Fs. W.
Westendorf), Göttingen 1984, 1039-55.
 
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