Alexander von Roes
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tur und nicht auch durch ihre Terminologie als ‘europäisch’ zu
erkennen geben; er sollte dann allerdings stets deutlich darauf hin-
weisen, daß sich das betreffende Projekt des Namens Europa nicht
bedient hat.2 Denn oft geht es hierbei nicht um eine Äußerlichkeit,
um eine bloße fagon de parier; die Kategorien Christenheit,
Abendland und Europa sind nur im groben deckungsgleich und
können je nach Lage der Dinge recht verschiedene Ordnungsvor-
stellungen umschreiben.
Die einläßlichen Darstellungen der Geschichte des Europa-
gedankens pflegen mit der Antike oder jedenfalls mit dem Mittel-
alter zu beginnen, also sei es mit der mythischen Figur Europa und
dem gleichlautenden geographischen Begriff, zwei Erbstücken aus
der Hinterlassenschaft der Griechen,3 sei es mit dem Niedergang
der beiden Universalmächte, des Kaisertums und des Papsttums,
als der wichtigsten Voraussetzung für all das, was seit dem 14. und
15. Jahrhundert gegen den europäischen Partikularismus und für
gemeinsames Handeln der Europäer vorgebracht wurde.4 Dem-
gegenüber findet sich an repräsentativer Stelle, in dem großen Arti-
kel „Europagedanke“ der neuesten Brockhaus-Enzyklopädie, fol-
gende lapidare Feststellung:
Weder die Antike noch das Mittelalter kannten einen Europagedanken.
Die Herausbildung des europäischen Staatensystems der Neuzeit und der
Zerfall der christlichen Einheit in den Religionskriegen hatten eine Säku-
larisierung des politischen Denkens zur Folge. Der Begriff ‘Europa’ ver-
drängte den des Abendlandes. Ordnungsmodelle und Friedenspläne befaß-
ten sich nun mit der Organisation der zwischenstaatlichen Beziehungen.
Im 17. und 18. Jahrhundert formulierten Politiker und Gelehrte die Theorie
des Mächtegleichgewichts und glaubten, damit das regulative Prinzip des
europäischen Konzerts entdeckt zu haben.5
2 Der europäische Fürstenbund Georgs von Podebrad lautet der Titel der noch stets
viel zitierten Monographie von E. Schwitzky, Marburg 1907; das Projekt selber
spricht indes stets von Christianitas und kein einziges Mal von Europa. In der
Darstellung und Quellensammlung von D. de Rougemont, Europa - Vom
Mythos zur Wirklichkeit, München 1962, erfährt der Leser erst nachträglich, bei
der Behandlung der Programmatik des Enea Silvio, daß Podebrad den Europa-
Namen gar nicht verwendet hat (S. 67).
3 So z. B. die genannten Werke von de Rougemont (Anm. 2) und Foerster (Anm.
1); s. ferner H. Gollwitzer, Europabild und Europagedanke, München 1964, S.
17ff.: Geschichtliche Grundlegung.
4 So z. B. H. Brugmans, L’idee europeenne 1920-1970, Brügge 1970, S. 17ff.
5 Brockhaus-Enzyklopädie, Bd. 6, 198819, S. 651 ff.
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tur und nicht auch durch ihre Terminologie als ‘europäisch’ zu
erkennen geben; er sollte dann allerdings stets deutlich darauf hin-
weisen, daß sich das betreffende Projekt des Namens Europa nicht
bedient hat.2 Denn oft geht es hierbei nicht um eine Äußerlichkeit,
um eine bloße fagon de parier; die Kategorien Christenheit,
Abendland und Europa sind nur im groben deckungsgleich und
können je nach Lage der Dinge recht verschiedene Ordnungsvor-
stellungen umschreiben.
Die einläßlichen Darstellungen der Geschichte des Europa-
gedankens pflegen mit der Antike oder jedenfalls mit dem Mittel-
alter zu beginnen, also sei es mit der mythischen Figur Europa und
dem gleichlautenden geographischen Begriff, zwei Erbstücken aus
der Hinterlassenschaft der Griechen,3 sei es mit dem Niedergang
der beiden Universalmächte, des Kaisertums und des Papsttums,
als der wichtigsten Voraussetzung für all das, was seit dem 14. und
15. Jahrhundert gegen den europäischen Partikularismus und für
gemeinsames Handeln der Europäer vorgebracht wurde.4 Dem-
gegenüber findet sich an repräsentativer Stelle, in dem großen Arti-
kel „Europagedanke“ der neuesten Brockhaus-Enzyklopädie, fol-
gende lapidare Feststellung:
Weder die Antike noch das Mittelalter kannten einen Europagedanken.
Die Herausbildung des europäischen Staatensystems der Neuzeit und der
Zerfall der christlichen Einheit in den Religionskriegen hatten eine Säku-
larisierung des politischen Denkens zur Folge. Der Begriff ‘Europa’ ver-
drängte den des Abendlandes. Ordnungsmodelle und Friedenspläne befaß-
ten sich nun mit der Organisation der zwischenstaatlichen Beziehungen.
Im 17. und 18. Jahrhundert formulierten Politiker und Gelehrte die Theorie
des Mächtegleichgewichts und glaubten, damit das regulative Prinzip des
europäischen Konzerts entdeckt zu haben.5
2 Der europäische Fürstenbund Georgs von Podebrad lautet der Titel der noch stets
viel zitierten Monographie von E. Schwitzky, Marburg 1907; das Projekt selber
spricht indes stets von Christianitas und kein einziges Mal von Europa. In der
Darstellung und Quellensammlung von D. de Rougemont, Europa - Vom
Mythos zur Wirklichkeit, München 1962, erfährt der Leser erst nachträglich, bei
der Behandlung der Programmatik des Enea Silvio, daß Podebrad den Europa-
Namen gar nicht verwendet hat (S. 67).
3 So z. B. die genannten Werke von de Rougemont (Anm. 2) und Foerster (Anm.
1); s. ferner H. Gollwitzer, Europabild und Europagedanke, München 1964, S.
17ff.: Geschichtliche Grundlegung.
4 So z. B. H. Brugmans, L’idee europeenne 1920-1970, Brügge 1970, S. 17ff.
5 Brockhaus-Enzyklopädie, Bd. 6, 198819, S. 651 ff.