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Fuhrmann, Manfred; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1994, 4. Abhandlung): Alexander von Roes - ein Wegbereiter des Europagedankens?: vorgetragen am 16. Februar 1991 — Heidelberg: Winter, 1994

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https://doi.org/10.11588/diglit.48173#0011
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Alexander von Roes

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tochter, die von Zeus in der Gestalt eines Stieres über das Meer
hinweg nach Kreta entführt worden sei, und über mögliche Zusam-
menhänge dieser Figur mit dem geographischen Namen ist man-
cherlei spekuliert worden. Schon Herodot war skeptisch: die Tyrie-
rin Europa sei von Phönizien nach Kreta und von dort nach Lykien
gekommen, nicht aber in das Land, dem sie ihren Namen gegeben
haben solle.7 Das Problem braucht hier nicht erörtert zu werden: so
allgegenwärtig die Geschichte von Europa und dem Stier heut-
zutage zumal durch die politische Karikatur ist, so wenig läßt sich
bezweifeln, daß nicht die mythische Gestalt, sondern einzig der geo-
graphische Name Grundlage und Ausgangspunkt allen Nachden-
kens über gemeinsame Werte und Ziele der Europäer gewesen ist.
Der geographische Name findet sich zum ersten Male in einem
griechischen Götterhymnus des 7. Jahrhunderts v.Chr. Apollon,
verlautet dort, sei umhergezogen und habe Heiligtümer gegründet,
um den Menschen Gelegenheit zu geben, ihm zu opfern und ihn
nach der Zukunft zu befragen - den Menschen, „die da wohnen auf
der fruchtbaren Peloponnes, in Europa und rings auf den meer-
umflossenen Inseln.“8 Der Zusammenhang Peloponnes - Europa -
ägäische Inseln zeigt, daß der Name Europa ursprünglich die nord-
östlichen Gebiete des heutigen Griechenland bezeichnet hat: er
begann seine Karriere am Bosporus, an der Stelle, die auch heute
noch als die eindeutigste Grenzscheide zwischen Europa und
Asien gilt.
Das nächste Dokument läßt bereits erhebliche Fortschritte
erkennen. Herodot berichtet von den ältesten Landkarten, die im
6. Jahrhundert v. Chr. in Milet entstanden sein sollen. Die Erde war
dort als flache, rings vom Ozean umflossene Scheibe dargestellt.
Das Festland, ebenfalls nahezu kreisförmig, schwamm in der
Mitte, und es wurde von West nach Ost diametral in zwei Hälften
geteilt: durch das Mittelmeer, das Schwarze Meer und den Fluß
Rion südlich des Kaukasus. Der nördliche Halbkreis hieß Europa;
der südliche, d. h. Kleinasien, Vorderasien, die arabische Halbinsel
und das nördliche Afrika, galt als Asien. Herodot selber kennt
7 Zum antiken Europa-Mythos s. W. Bühler, Europa - Ein Überblick über die
Zeugnisse des Mythos in der antiken Literatur und Kunst, München 1968. Zu
Versuchen, den Europa-Mythos als Symbol für kulturgeschichtliche Entwick-
lungen zu deuten, s. de Rougemont, a.a.O. (Anm. 2), S. 13ff. Schon Herodot:
4,45.
8 Homerische Hymnen 3, 250f. und 290f.
 
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