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Fuhrmann, Manfred; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1994, 4. Abhandlung): Alexander von Roes - ein Wegbereiter des Europagedankens?: vorgetragen am 16. Februar 1991 — Heidelberg: Winter, 1994

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https://doi.org/10.11588/diglit.48173#0019
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Alexander von Roes

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Romanus, sondern auch die Begriffe oriens und occidens, die sich
als Bezeichnungen für die beiden Hälften dieses orbis eingebürgert
hatten. Man bedurfte eines neuen Ausdrucks für die neue Gemein-
schaft christlicher Völker, wie sie nunmehr teils innerhalb, teils
außerhalb der Grenzen der ehemaligen Westhälfte des Reiches
existierte. So begann eine zweite Karriere des Europa-Namens als
kultureller und politischer Kategorie. Sie entfaltete sich in den
Jahrhunderten von der Völkerwanderung bis zum Niedergang des
karolingischen Reiches und manifestierte sich vornehmlich in drei
Erscheinungsweisen:
1. als Europa-Bewußtsein, als ein europäisches Zusammengehö-
rigkeitsgefühl, das punktuell, bei schwerer Gefährdung von
außen, aufleuchtete;
2. als Ansatz zu einer kirchlichen Europa-Idee (Europa = ecclesia}',
3. als die politische Europa-Idee des karolingischen Reiches
(Europa = regnum, imperium}.
Diese drei Erscheinungsweisen haben die Gemeinsamkeit, daß sie
stets gegebene Verhältnisse spiegeln, sei es klagend, sei es prei-
send, und daß in ihnen noch keine bestimmte Programmatik zum
Ausdruck kommt. Die an letzter Stelle genannte Erscheinungs-
weise des frühmittelalterlichen Europagedankens war die wich-
tigste.
Der geographische Europa-Begriff gelangte unverändert ins
Mittelalter; es blieb - trotz der von der Gebietsreform Kaiser Dio-
kletians geschaffenen Provinz Europa im äußersten Osten Thra-
kiens31 - bei dem durch den Don, den Bosporus und die Straße von
Gibraltar begrenzten Erdteil. Hierbei konnte man sich auf die
Angaben stützen, die man insbesondere bei Isidor von Sevilla
fand;32 ein reduzierter Europa-Begriff begnügte sich mit den
bereits von Manilius für maßgeblich erachteten Kernländern Ita-
lien, Germanien, Gallien und Spanien.33 Andererseits erhielt der
Name nunmehr ein biblisches Pendant: die drei Söhne Noahs, des
zweiten Stammvaters der Menschheit, wurden auf das antike
31 S. Ammianus Marcellinus 27,4,12; Historia Augusta, Aurelianus 17,2 und 30,4-
32,2.
32 Etymologiae 14,4; s. ferner Orosius, Historiae adversum paganos 1,2,51-82. Zum
Folgenden ausführlich D. Hay, Europe - The Emergence of an Idea, New York
1966, S. 37ff.
33 Griechenland zählte nicht dazu; s. Fischer, a.a.O. (Anm. 30), S. 22f.
 
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