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Fuhrmann, Manfred; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1994, 4. Abhandlung): Alexander von Roes - ein Wegbereiter des Europagedankens?: vorgetragen am 16. Februar 1991 — Heidelberg: Winter, 1994

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https://doi.org/10.11588/diglit.48173#0033
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Alexander von Roes

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herrscherliche Macht zu sichern, und die Franzosen, durch unwi-
derlegliche Gründe darzutun, wie der Glaube von jedermann zu
bewahren sei.
Dieses Räsonnement, das einerseits noch ganz dem universali-
stischen Denken des Mittelalters verpflichtet ist, andererseits aber
erste Ansätze eines pluralistischen, mit einer Mehrheit von Natio-
nen rechnenden Denkens zeigt (wie bald darauf noch deutlicher
der Traktat von Pierre Dubois) - dieses Räsonnement hat auf die
ursprünglichen Adressaten weniger verblüffend gewirkt als auf uns
Heutige: Alexander hat darin mancherlei Anregungen verarbeitet,
die er der zeitgenössischen Diskussion entnehmen konnte.66 Die
Rollenverteilung zwischen den Italienern und Deutschen, zwischen
Rom und dem Reich war geradezu konventionell. Und der Einfall,
die Franzosen auf die Pflege der Wissenschaften, d. h. der Theo-
logie zu verweisen, spiegelt einfach den enormen Aufstieg, den die
Pariser Universität im 13. Jahrhundert, im Zeitalter der Scholastik,
genommen hatte - selbst der bei Alexander begegnende Gedanke
einer translatio studii von Rom nach Paris, ein Analogon zur trans-
latio imperii, war schon von anderer Seite geäußert worden.67 End-
lich die Dreiheit sacerdotium - regnum - studium', man findet ähn-
liche Kategorien auch bei anderen Autoren, sei es als Vorzüge
Frankreichs, sei es als Tugenden des rechten Herrschers.68
Immerhin bleibt des Originalen genug: die Idee, aus den ver-
schiedenen Nationalcharakteren einen übernationalen Geschäfts-
verteilungsplan abzuleiten, ist ganz Alexanders Werk - man fühlt
sich an die berühmte (übrigens von Dante in De monarchia zitierte)
Partie der Aeneis Vergils erinnert, welche den beiden Hauptvölkern
der Antike, den Griechen und den Römern, den kulturellen und
den staatlichen Bereich als je besondere Aufgabengebiete zugewie-
sen hatte.69 Die trichotomische Konzeption Alexanders diente
66 Zum Folgenden s. H. Grundmann, „Sacerdotium - Regnum - Studium“, Archiv
für Kulturgeschichte 34, 1952, S. 5ff.
67 Im Speculum historiale des Vinzenz von Beauvais (um 1250), 23,173; vgl. hierzu
auch P. Renucci, L’aventure de l’humanisme europeen au Moyen-Age, Paris 1953,
S. 138ff.
68 Bei Wilhelm von Nangis, dem Biographen Ludwigs des Heiligen, der um die-
selbe Zeit schrieb wie Alexander, finden sich die analogen Begriffe, fides,
sapientia, militia, und Tolomeo von Lucca handelt wenig später, um 1300, von
den drei Bereichen divinus cultus, sapientia scholastica und secularis potentia', s.
Grundmann, a.a.O. (Anm. 66), S. 9ff.
69 6,847ff., von Dante, De monarchia 2,6, zitiert.
 
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