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Manfred Fuhrmann
gewiß zuallererst dem Zweck, dem Expansionsdrang Frankreichs
entgegenzuwirken - ähnlich wie vier Jahrhunderte später Leibniz
versucht hat, Europa durch sein sogenanntes Consilium Aegyptia-
cum Entlastung von der drückenden Übermacht Ludwigs XIV. zu
verschaffen.70
Die eigentliche Pointe der Theorie Alexanders besteht nun
darin, daß sie sich den Europa-Namen als politisch-kulturelle
Chiffre zunutze macht. Das Memoriale, der frühere der beiden
Traktate, übt noch Zurückhaltung. Es verwendet den Europa-
Namen zweimal als geographische und nur in einem dritten und
letzten Falle als politische Kategorie.71 Alexander schreibt dort, es
gebe eine Prophezeiung, daß aus dem Stamm der Karolinger ein
Kaiser namens Karl entsprießen werde, qui erit princeps et monarcha
totius Europe et reformabit ecclesiam et imperium - ihm sei bestimmt,
als Herrscher und Monarch über ganz Europa Kirche und Reich zu
erneuern. Diese Art einer politischen Verwendung des Europa-
Namens enthält allerdings noch nichts Neues; sie scheint vielmehr
zu rekapitulieren, was Alexander vorgefunden hat.72 Die Prophe-
zeiung hat ja die Wiederherstellung des karolingischen Reiches,
also ein Europa zum Inhalt, das von einer Zentrale aus regiert wird.
Hiermit aber greift Alexander auf eine Verwendungsweise zurück,
die der Europa-Name schon in karolingischer Zeit, im ausgehen-
den 8. und im 9. Jahrhundert, gefunden hatte: er diente damals als
rhetorisch-propagandistische Bekräftigung dessen, was Karl der
Große als Staatsmann und Kriegsherr erreicht hatte, und wurde
bald darauf, nach der Teilung des karolingischen Reiches, zum
Schibboleth für das, was inzwischen wieder verloren gegangen
war,73 und diese rückwärts gewandte Klage wiederum konnte
umschlagen in Wunschträume und Prophezeiungen dessen, was
da kommen sollte.
Erst die Noticia seculi, die zweite Abhandlung Alexanders, geht
einen bedeutsamen Schritt weiter: sie appliziert den Europa-
Namen auf das Programm, auf das dreigliedrige System der Ämter.
Überhaupt nimmt dort der Begriff Europa eine beherrschende
70 S. z.B. de Rougemont, a.a.O. (Anm. 2), S. 113ff; Foerster, a.a.O. (Anm. 1), S.
151 ff.
71 Kap. 15-16; Kap. 30.
72 S. hierzu z.B. D. Kunze, „Nationale Regungen in der spätmittelalterlichen Pro-
phetie“, Historische Zeitschrift 202, 1966, S. Iff.
73 S. o. S. 24f.
Manfred Fuhrmann
gewiß zuallererst dem Zweck, dem Expansionsdrang Frankreichs
entgegenzuwirken - ähnlich wie vier Jahrhunderte später Leibniz
versucht hat, Europa durch sein sogenanntes Consilium Aegyptia-
cum Entlastung von der drückenden Übermacht Ludwigs XIV. zu
verschaffen.70
Die eigentliche Pointe der Theorie Alexanders besteht nun
darin, daß sie sich den Europa-Namen als politisch-kulturelle
Chiffre zunutze macht. Das Memoriale, der frühere der beiden
Traktate, übt noch Zurückhaltung. Es verwendet den Europa-
Namen zweimal als geographische und nur in einem dritten und
letzten Falle als politische Kategorie.71 Alexander schreibt dort, es
gebe eine Prophezeiung, daß aus dem Stamm der Karolinger ein
Kaiser namens Karl entsprießen werde, qui erit princeps et monarcha
totius Europe et reformabit ecclesiam et imperium - ihm sei bestimmt,
als Herrscher und Monarch über ganz Europa Kirche und Reich zu
erneuern. Diese Art einer politischen Verwendung des Europa-
Namens enthält allerdings noch nichts Neues; sie scheint vielmehr
zu rekapitulieren, was Alexander vorgefunden hat.72 Die Prophe-
zeiung hat ja die Wiederherstellung des karolingischen Reiches,
also ein Europa zum Inhalt, das von einer Zentrale aus regiert wird.
Hiermit aber greift Alexander auf eine Verwendungsweise zurück,
die der Europa-Name schon in karolingischer Zeit, im ausgehen-
den 8. und im 9. Jahrhundert, gefunden hatte: er diente damals als
rhetorisch-propagandistische Bekräftigung dessen, was Karl der
Große als Staatsmann und Kriegsherr erreicht hatte, und wurde
bald darauf, nach der Teilung des karolingischen Reiches, zum
Schibboleth für das, was inzwischen wieder verloren gegangen
war,73 und diese rückwärts gewandte Klage wiederum konnte
umschlagen in Wunschträume und Prophezeiungen dessen, was
da kommen sollte.
Erst die Noticia seculi, die zweite Abhandlung Alexanders, geht
einen bedeutsamen Schritt weiter: sie appliziert den Europa-
Namen auf das Programm, auf das dreigliedrige System der Ämter.
Überhaupt nimmt dort der Begriff Europa eine beherrschende
70 S. z.B. de Rougemont, a.a.O. (Anm. 2), S. 113ff; Foerster, a.a.O. (Anm. 1), S.
151 ff.
71 Kap. 15-16; Kap. 30.
72 S. hierzu z.B. D. Kunze, „Nationale Regungen in der spätmittelalterlichen Pro-
phetie“, Historische Zeitschrift 202, 1966, S. Iff.
73 S. o. S. 24f.