Metadaten

Fuhrmann, Manfred; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1994, 4. Abhandlung): Alexander von Roes - ein Wegbereiter des Europagedankens?: vorgetragen am 16. Februar 1991 — Heidelberg: Winter, 1994

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48173#0040
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
38

Manfred Fuhrmann

Auch das Denken und die Ausdrucksweise Enea Silvios bewegten
sich zum Teil noch in konventionellen Bahnen; seine Abhandlung
De ortu et auctoritate imperii Romani z.B. befaßte sich mit nichts
anderem als den universalen Institutionen Kirche und Reich. Er
war jedoch realistisch genug eingestellt, um wahrzunehmen, daß
das Kaisertum als Vormacht der Christenheit nur noch auf dem
Papier stand: Suum quaeque civitas regem habet - „Jede Gemein-
schaft hat ihren eigenen König“, schrieb er einmal, womit er offen-
sichtlich an die bekannte Maxime der französischen Könige - Rex
imperator in regno suo, „Der König hat in seinem Reich eine kaiser-
liche Stellung inne“ - anknüpfte.83 Die Christenheit einerseits und
die unbestreitbare Tatsache einer Vielheit selbständiger Staaten
andererseits: diese Spannung mag Enea Silvio veranlaßt haben,
sich in seiner Publizistik auch des Europa-Namens zu bedienen, als
einer Kategorie, die geeignet schien, die eine Religion und die vie-
len Staaten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.
In drei wichtigen Schriften Enea Silvios begegnet der Europa-
Name an exponierter Stelle: am Anfang der Türkenrede, gehalten
im Jahre 1454 auf dem Frankfurter Türkentage: am Anfang des
geographisch-ethnographischen Werkes Europa', am Schluß der
Türkenkreuzzugsbulle vom 25. Oktober 1463. Noch nie, heißt es in
der Türkenrede, sei der christlichen Gemeinschaft eine solche
Schande widerfahren: einst habe man in Asien und Afrika, also auf
fremdem Boden, Wunden empfangen; nunc vero, fährt Enea Silvio
fort, in Europa, id est in patria, in domo propria, in sede nostra per-
cussi caesique sumus - „doch jetzt sind wir in Europa, d. h. in unse-
rer Heimat, im eigenen Hause, an unseren angestammten Wohn-
sitzen heimgesucht und geschlagen worden.“ Mit derselben,
damals durchaus noch nicht selbstverständlichen Gleichsetzung
von Christenheit und Europa beginnt auch die Europaschrift: Quae
sub Frederico tertio eius nominis Imperatore apud Europaeos aut qui
nomine Christiano censentur ... homines gesta feruntur memoratu
digna - „Was sich unter Kaiser Friedrich, dem dritten dieses
Namens, bei den Europäern oder denen, die sich Christen nennen,
Denkwürdiges ereignet hat...“ Schließlich die Kreuzzugsbulle: sie
endet mit einem Gebet, und dort heißt es ganz am Schluß: Fac nos
ire cum prosperitate ad bellum tuum ac reverti felices; da nobis vic-
toriam de tuis hostibus, ut tandem recuperata Graecia per totam Euro-
83 Suum quaeque civitas'. Epistola 127 (1454), in Opera, Basel 1551, p. 656. Rex
imperator, s. hierzu z. B. Kämpf, a.a.O. (Anm. 80), S. 20ff.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften