Alexander von Roes
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pam dignas tibi cantemus laudes tibique perpetuo serviamus - „Laß
uns mit deinem Segen in deinen Krieg ziehen und schenke uns
eine glückliche Heimkehr; verleih uns den Sieg über deine Feinde,
auf daß wir nach der Rückeroberung Griechenlands endlich wieder
in ganz Europa auf angemessene Weise dein Lob singen und dir
immerdar dienen.“84
Blickt man auf Enea Silvios publizistisches CEuvre im ganzen, so
zeigen sich dort zwei neue, in die Zukunft weisende Grundgedan-
ken: der Aspekt der europäischen Völkervielfalt und der Aspekt
einer allen europäischen Völkern gemeinsamen Herkunft. Die
Völkervielfalt ist das Thema der Europa-Schrift. Jedes Kapitel
beginnt mit einem Land oder einer Landschaft, wendet sich sodann
den Bewohnern zu und bringt einen geschichtlichen Überblick
über die politischen, kirchlichen und wirtschaftlichen Verhält-
nisse; das Ganze ist ein eindrucksvolles Erzeugnis renaissancehaf-
ter Diesseitszugewandtheit, das die Mannigfaltigkeit der europäi-
schen Völker und Landschaften anschaulich hervortreten läßt. Der
gemeinsamen kulturellen Herkunft aber wird z. B. in der Türken-
rede mit folgenden Worten gedacht: Nunc contrita deletaque Grae-
cia quanta sit facta litterarum iactura cuncti cognoscitis, qui Latino-
rum omnem doctrinam ex Graecorum fontibus derivatam non igno-
ratis - „Jetzt ist Griechenland verwüstet und zerstört; welch kul-
tureller Verlust uns daraus erwachsen ist, wißt ihr alle, da euch ja
bekannt ist, daß die gesamte Bildung der lateinischen Welt aus
griechischen Quellen stammt.“85 Diese beiden Grundmotive erklä-
ren wohl auch, warum sich Enea Silvio nicht mit dem Begriff‘Chri-
stenheit’ begnügte, warum er sich in seiner Publizistik auch des
Europa-Namens bedient hat: er wollte auf die kulturellen Leistun-
gen hinweisen, wie sie sich in der Fülle der Landschaften und
Städte Europas manifestierten, und es war ihm um eine Chiffre zu
tun, welche auch die heidnische Antike, zumal die Hinterlassen-
schaft der Griechen, in das allen Europäern Gemeinsame ein-
bezog.
Europa als Inbegriff einer Vielzahl von Völkern, die allesamt an
derselben Kultur teilhaben: dieser Vorstellung fehlt jetzt nur noch
die staatsrechtlich-politische Komponente, ihr fehlt ein Staats-
84 Nunc vero: Oratio de Constantinopolitana clade, in Opera, p. 678. Quae sub
Frederico tertio: Europa, Praefatio, ebendort, p. 387. Fac nos ire: Bulla de profec-
tione in Turcos, ebendort, p. 923.
85 Oratio de Constantinopolitana clade, in Opera, p. 682.
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pam dignas tibi cantemus laudes tibique perpetuo serviamus - „Laß
uns mit deinem Segen in deinen Krieg ziehen und schenke uns
eine glückliche Heimkehr; verleih uns den Sieg über deine Feinde,
auf daß wir nach der Rückeroberung Griechenlands endlich wieder
in ganz Europa auf angemessene Weise dein Lob singen und dir
immerdar dienen.“84
Blickt man auf Enea Silvios publizistisches CEuvre im ganzen, so
zeigen sich dort zwei neue, in die Zukunft weisende Grundgedan-
ken: der Aspekt der europäischen Völkervielfalt und der Aspekt
einer allen europäischen Völkern gemeinsamen Herkunft. Die
Völkervielfalt ist das Thema der Europa-Schrift. Jedes Kapitel
beginnt mit einem Land oder einer Landschaft, wendet sich sodann
den Bewohnern zu und bringt einen geschichtlichen Überblick
über die politischen, kirchlichen und wirtschaftlichen Verhält-
nisse; das Ganze ist ein eindrucksvolles Erzeugnis renaissancehaf-
ter Diesseitszugewandtheit, das die Mannigfaltigkeit der europäi-
schen Völker und Landschaften anschaulich hervortreten läßt. Der
gemeinsamen kulturellen Herkunft aber wird z. B. in der Türken-
rede mit folgenden Worten gedacht: Nunc contrita deletaque Grae-
cia quanta sit facta litterarum iactura cuncti cognoscitis, qui Latino-
rum omnem doctrinam ex Graecorum fontibus derivatam non igno-
ratis - „Jetzt ist Griechenland verwüstet und zerstört; welch kul-
tureller Verlust uns daraus erwachsen ist, wißt ihr alle, da euch ja
bekannt ist, daß die gesamte Bildung der lateinischen Welt aus
griechischen Quellen stammt.“85 Diese beiden Grundmotive erklä-
ren wohl auch, warum sich Enea Silvio nicht mit dem Begriff‘Chri-
stenheit’ begnügte, warum er sich in seiner Publizistik auch des
Europa-Namens bedient hat: er wollte auf die kulturellen Leistun-
gen hinweisen, wie sie sich in der Fülle der Landschaften und
Städte Europas manifestierten, und es war ihm um eine Chiffre zu
tun, welche auch die heidnische Antike, zumal die Hinterlassen-
schaft der Griechen, in das allen Europäern Gemeinsame ein-
bezog.
Europa als Inbegriff einer Vielzahl von Völkern, die allesamt an
derselben Kultur teilhaben: dieser Vorstellung fehlt jetzt nur noch
die staatsrechtlich-politische Komponente, ihr fehlt ein Staats-
84 Nunc vero: Oratio de Constantinopolitana clade, in Opera, p. 678. Quae sub
Frederico tertio: Europa, Praefatio, ebendort, p. 387. Fac nos ire: Bulla de profec-
tione in Turcos, ebendort, p. 923.
85 Oratio de Constantinopolitana clade, in Opera, p. 682.