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Heckel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1995, 3. Abhandlung): Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage: wo war das Volk? ; vorgetragen am 11. Februar 1995 — Heidelberg: Univ.-Verl. Winter, 1995

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48183#0011
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9

I
Die Problematik:
Das Grundgesetz zwischen Dauergarantie
und Provisoriumsgeltung*
1. Zwei Traumata haben die verfassungsrechtliche Entwicklung
Deutschlands seit dem Ende des Krieges von nunmehr 50 Jahren nach-
haltig bestimmt: Die nationalsozialistische Machtergreifung durch die
„legale Revolution“ und die deutsche Teilung durch die Siegermächte.
Das Grundgesetz hat hierauf zweifach geantwortet: Zum einen wurde
die Unantastbarkeit der Verfassungsfundamente im Demokratie-,
Rechtsstaats- und Bundesstaatsprinzip durch die „Ewigkeitsgarantie“
des Art. 79 Abs. 3 GG gegen jede Umwälzung, auch durch Verfas-
sungsänderungen gesichert. Zum andern wurde die Wiedervereinigung
als vorrangiges Verfassungsziel in der Präambel proklamiert. Die Ver-
fassung wurde dazu durch den Beitrittsartikel 23 a. F. in singulärer
Strukturoffenheit für den Beitritt des anderen Deutschlands bereitge-
stellt. Überdies hat sich die Verfassung selbst durch den Ablösungsarti-
kel 146 a. F. erforderlichenfalls zur Disposition gestellt; dementspre-
chend hat die Präambel ihren Geltungsanspruch auf die „Übergangs-
zeit“ bis zur Vollendung der Einheit Deutschlands begrenzt.
2. Die Ewigkeitsgarantie der Verfassungsfundamente einerseits und
die Provisoriumsbestimmung des Grundgesetzes andererseits stehen
seit 1949 in einer eigenartigen Spannung1, die den Sonderweg der deut-
schen Geschichte gegenüber den anderen Verfassungen der freien Welt
markiert . Beide sind verknüpft durch die Verfassunggebende Gewalt
des Volkes, auf die sich die Präambel beruft und auf die der Ablö-
sungsartikel 146 hinwies und noch hinzuweisen scheint.
* Eine ausführliche Behandlung der einschlägigen Probleme mit weiteren Nachweisen
erscheint demnächst aus der Feder des Verf. im Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII,
hrsg. v. Josef Isensee und Paul Kirchhof, Verlag C. F. Müller, Heidelberg.
1 Hans-Peter Ipsen, Über das Grundgesetz, in: ders., Über das Grundgesetz, Gesammel-
te Beiträge seit 1949, Tübingen 1988, S. 2 ff., 17 ff., 20 ff.; Josef Isensee, Braucht Deutsch-
land eine neue Verfassung?, Köln 1992, S. 28 ff.; vgl. die Textausgabe Einigungsvertrag
und Wahlvertrag mit Vertragsgesetzen, Begründungen, Erläuterungen und Materi-
alen, hrsg. v. Klaus Stern und Bruno Schmidt/Bleibtreu, München 1990, S. 92 f.
 
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