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Heckel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1995, 3. Abhandlung): Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage: wo war das Volk? ; vorgetragen am 11. Februar 1995 — Heidelberg: Univ.-Verl. Winter, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.48183#0017
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Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage

15

II.
Die Rolle der Verfassunggebenden Gewalt
im deutschen Einigungsgeschehen:
Wo war das Volk?
1. Die Einigung stellt die tiefste Umwälzung der politischen Verhält-
nisse im Osten wie auch im Westen Deutschlands seit 1949 dar. Sie muß
von der Verfassunggebenden Gewalt des Volkes getragen sein! Nur dann
ist die demokratische Legitimation des Einigungsgeschehens und folg-
lich auch des Grundgesetzes als der neuen Verfassung Gesamtdeutsch-
lands zu bejahen.
Jedoch: Wo war das Volk? Bekanntlich war die Einigung juristisch
„die Stunde der Exekutive“11. Sie war das Werk der west- und ostdeut-
schen Regierungen und ihrer Bürokratie, die den Regierungswillen in
den mehrhundertseitigen Vertragswerken der Währungs-, Wirtschafts-
und Sozialunion vom 18.5.1990, des Wahlvertrags vom 3.8.1990 und des
Einigungsvertrages vom 31.8.1990 konkretisierte. Dabei mußte sich die
Repräsentation des Volkes in beiden Parlamenten im wesentlichen auf
ihre bloße Zustimmung beschränken, da nenneswerte Änderungen we-
gen der parallel laufenden Zwei-plus-Vier-Verhandlungen mit den Al-
liierten gar nicht möglich schienen. Das Volk selbst wurde nicht unmit-
telbar beteiligt.
2. So ist es nicht erstaunlich, daß der Ruf nach einer Volksabstimmung
über die Verfassungsfrage von den verschiedensten politischen Rich-
tungen erhoben wird. Mit ihrer apodiktischen Behauptung, daß „sich
das deutsche Volk kraft seiner Verfassunggebenden Gewalt dieses
Grundgesetz gegeben“ habe, enthalte die Präambel n. F. von 1990 die
gleiche Diskrepanz zum historischen Befund - eine „schriftliche Lüge“12
- wie die Präambel a. F. von 1949. Sei damals das demokratische Defi-
zit während der Besatzungsherrschaft und Teilung Deutschland hinzu-
nehmen gewesen, so dürfe das Volk jetzt nicht abermals von der Ent-
scheidung ausgeschlossen werden - in der zynischen Erwartung, daß die
Mängel des Verfassunggebungsverfahrens wiederum nachträglich in
11 Vgl. Wolfgang Schäuble, Der Einigungsvertrag - Vollendung der Einheit Deutschlands
in Freiheit, in: ZfGesetzgebung 5 (1990), S. 289 (290 ff.); Mahrenholz (N 7), S. 24; Wahl
(N 7), S. 473 ff.; Stern, Wiederherstellung (N 8), S. 3 (33 ff.); ders., Der Zwei-plus-Vier-
Vertrag, in; BayVBl. 1991, S. 523 ff.
k Hans-Peter Schneider, in: Der Spiegel 1990, H. 34, S. 19; Wahl (N 7), S. 475.
 
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