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Heckel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1995, 3. Abhandlung): Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage: wo war das Volk? ; vorgetragen am 11. Februar 1995 — Heidelberg: Univ.-Verl. Winter, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.48183#0013
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Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage

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der maßgeblichen politischen Kräfte sich daran überheben und die ver-
fassungsrechtlichen Grundlagen für die Aufbauarbeit im Osten er-
schüttern will.
Die Theorie jedoch bietet ein Bild aufgeregter Zerstrittenheit in dia-
metral entgegengesetzte Positionen, wie sie zu keinem anderen verfas-
sungsrechtlichen Problem von einiger Bedeutung zu finden sind.
4. Sechs divergente Interpretationen zum neugefaßten Schlußartikel
146 GG hat die Wissenschaft entwickelt:
Die erste: Dilatorischer Formelkompromiß ohne Sachentscheidung^.
Art. 146 GG a. F. von 1949 sei durch Zweckerreichung obsolet gewor-
den, da die Einigung durch den anderen Weg des Beitritts nach Art. 23
GG a. F. zustande gekommen sei. Art. 146 GG n. F. von 1990 aber sei
so unklar und widersprüchlich durch die im Text verkörperten entge-
gengesetzen Ziele der großen Parteien, daß dieser „Mangel an Sachent-
scheidung des Gesetzgebers nicht ex post durch juristische Auslegung
kompensiert werden kann".
Die zweite: Deklaratorischer Hinweis auf die originäre Verfassungge-
bende Gewalt \ Art. 146 GG alter wie neuer Fassung erinnere nur an die
allgemeine Selbstverständlichkeit, daß theoretisch jede Verfassung vom
souveränen Volk kraft seiner Verfassunggebenden Gewalt originär -
d. h. revolutionär - durch eine neue Verfassung ersetzt werden könne.
Doch könne dies die Geltungskraft und Legitimität des Grundgesetzes
als definitive Verfassung Gesamtdeutschlands weder erschüttern noch
mindern.

Frage der Anwendung des Artikel 146 des Grundgesetzes und in deren Rahmen einer
Volksabstimmung“ „zu befassen“ (Art. 5 EVertr).
4 Isensee (N 1), S. 44 ff., 60; ders., Schlußbestimmung des Grundgesetzes: Art. 146, in: Jo-
sef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts (HStR) Bd. VII, Hei-
delberg 1992, § 166 Rn. 50; Richard Bartlsperger, Verfassung und Verfassunggebende
Gewalt im vereinten Deutschland, in: DVB1. 1990, S. 1285 (1287 ff., 1290 ff.).
Reinhold Zippelius, Quo vadis Grundgesetz?, in: NJW 1991, S. 23; Matthias Herdegen,
Die Verfassungsänderungen im Einigungsvertrag, Heidelberg 1991, S. 26 ff.; Rupert
Scholz, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 146 Rn. 9; Dieter Blu-
menwitz, Braucht Deutschland ein neues Grundgesetz?, in: ZfPolitik 39 (1992), S. 1
(22); Albrecht Randelzhofer, Das Grundgestz unter Vorbehalt? Zum neuen Art. 146
GG, in: Klaus Stern (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, Bd. I, Köln u.a. 1991, S. 141
(155).
 
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