Die deutsche Einheit als Verfassungsfrage
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gelöst, die freiwerdenden Mandate bis zu den Märzwahlen 1990 durch
Nachrücker der „Nationalen Front“ besetzt.
Die Revolution legalisierte sich durch sogenannte „Verfassungsände-
rungen“: Sie wurden zur Beseitigung der bisher geltenden Verfassungs-
grundlagen verwendet14. So bildete die DDR ein Musterbeispiel für ei-
ne „legale Revolution“. Die Staatsorgane blieben erhalten und leisteten
die für die Bevölkerung unentbehrlichen Funktionen der Daseins-
vorsorge und Sicherheitswahrung. Die Kontinuität der äußeren Form bei
Diskontinuität des inneren Gehaltes ist kennzeichnend für die Verfas-
sungslage der DDR nach der Umwälzung geworden. Paradigmatisch
hierfür war die Umdeutung des Grundrechtsteils der DDR-Verfassung:
Aus sozialistischen Grundrechten, die einst i.S. der sozialistischen Iden-
tifikationskette von Volk, Klasse, Klassenpartei und Klassenideologie
die Gleichschaltung der Bürger mit dem sozialistischen Parteisystem
vorschrieben, wurden nun Freiheitsrechte im Grundrechtsverständnis
der westlichen Verfassungsstaaten.
b) Die Ursachen hierfür sind vielschichtig und historisch einzigartig.
Das Freiheitsverlangen bäumte sich auf gegen die gigantische Überwa-
chung und Unterdrückung, deren Legitimation durch die Ideologie der
„sozialistischen Befreiung“ zu wahrer Humanität und progressiver Pro-
sperität der Wirtschaft und Gesellschaft sich durchweg als gespenstische
Lügenprophetie erwies, als das System in die Zerrüttung der ökonomi-
schen und ökologischen Lebensgrundlagen führte. Der Ruf „Wir sind
das Volk“ war das verwirrende, tarnende und zugleich entlarvende Sig-
nal, das die angemaßte Repräsentation des Volkes durch die Herr-
schenden widerlegte und die sozialistische Identifikationskette von
Volk und Klassenideologie zerriß.
Aber angesichts der Gegenwart der Roten Armee im Lande empfahl
es sich, den Umsturz so sanft und unmerklich wie möglich zu inszenie-
ren und an die sachlichen und personellen Gegebenheiten der soziali-
stischen Verfassung wo immer möglich anzuknüpfen, dabei das Demo-
kratische am „demokratischen Sozialismus“ einzufordern und zu über-
bieten. Gewaltfreiheit war zudem die Losung vieler führender
Revolutionsgruppierungen mit teils utopischen, teils pazifistischen Zie-
len, desgleichen auch der Kirchen, die der Bewegung mit ihren Räumen
und Vermittlungsdiensten halfen, ohne langfristig eigene politische
Strategien zu verfolgen. Der Legalismus dieser „friedlichen Revolution“
ergab sich ferner aus dem Bedürfnis der Bevölkerung nach Geborgen-
14
Vgl. die Auflistung bei Schiink (N 13), S. 169 ff.; Quaritsch (N 13), S. 315 ff.
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gelöst, die freiwerdenden Mandate bis zu den Märzwahlen 1990 durch
Nachrücker der „Nationalen Front“ besetzt.
Die Revolution legalisierte sich durch sogenannte „Verfassungsände-
rungen“: Sie wurden zur Beseitigung der bisher geltenden Verfassungs-
grundlagen verwendet14. So bildete die DDR ein Musterbeispiel für ei-
ne „legale Revolution“. Die Staatsorgane blieben erhalten und leisteten
die für die Bevölkerung unentbehrlichen Funktionen der Daseins-
vorsorge und Sicherheitswahrung. Die Kontinuität der äußeren Form bei
Diskontinuität des inneren Gehaltes ist kennzeichnend für die Verfas-
sungslage der DDR nach der Umwälzung geworden. Paradigmatisch
hierfür war die Umdeutung des Grundrechtsteils der DDR-Verfassung:
Aus sozialistischen Grundrechten, die einst i.S. der sozialistischen Iden-
tifikationskette von Volk, Klasse, Klassenpartei und Klassenideologie
die Gleichschaltung der Bürger mit dem sozialistischen Parteisystem
vorschrieben, wurden nun Freiheitsrechte im Grundrechtsverständnis
der westlichen Verfassungsstaaten.
b) Die Ursachen hierfür sind vielschichtig und historisch einzigartig.
Das Freiheitsverlangen bäumte sich auf gegen die gigantische Überwa-
chung und Unterdrückung, deren Legitimation durch die Ideologie der
„sozialistischen Befreiung“ zu wahrer Humanität und progressiver Pro-
sperität der Wirtschaft und Gesellschaft sich durchweg als gespenstische
Lügenprophetie erwies, als das System in die Zerrüttung der ökonomi-
schen und ökologischen Lebensgrundlagen führte. Der Ruf „Wir sind
das Volk“ war das verwirrende, tarnende und zugleich entlarvende Sig-
nal, das die angemaßte Repräsentation des Volkes durch die Herr-
schenden widerlegte und die sozialistische Identifikationskette von
Volk und Klassenideologie zerriß.
Aber angesichts der Gegenwart der Roten Armee im Lande empfahl
es sich, den Umsturz so sanft und unmerklich wie möglich zu inszenie-
ren und an die sachlichen und personellen Gegebenheiten der soziali-
stischen Verfassung wo immer möglich anzuknüpfen, dabei das Demo-
kratische am „demokratischen Sozialismus“ einzufordern und zu über-
bieten. Gewaltfreiheit war zudem die Losung vieler führender
Revolutionsgruppierungen mit teils utopischen, teils pazifistischen Zie-
len, desgleichen auch der Kirchen, die der Bewegung mit ihren Räumen
und Vermittlungsdiensten halfen, ohne langfristig eigene politische
Strategien zu verfolgen. Der Legalismus dieser „friedlichen Revolution“
ergab sich ferner aus dem Bedürfnis der Bevölkerung nach Geborgen-
14
Vgl. die Auflistung bei Schiink (N 13), S. 169 ff.; Quaritsch (N 13), S. 315 ff.