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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 1): Frühschriften 1520 - 1524 — Gütersloh, 1960

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https://doi.org/10.11588/diglit.29138#0041
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DAS YM SELBS

37

Wesens und der Aufgaben der Obrigkeit10, in deren Darstellung er im
vorliegenden Traktat neben Luthers Anregungen auch Gedanken des
Erasmus verwertete.
(Bucer-Ausgabe S. 55, Anm. 18) auf Kap.37 von S. Brants »Narrenschiff«. Luther hat
1520 seinen »Sermon vom Wucher« veröffentlicht; im Abschnitt 27 der Refor-
mationsschrift »An den christlichen Adel ...«, wo sich Luther gegen die Mißstände
im weltlichen Bereiche wendet, greift er vor allem die Händler in Genußartikeln und
Luxus waren (»heimliche Räuber«) und den Zinskauf (»das größte Unglück deutscher
Nation«) scharf an (vgl. zur reformatorischen Sicht dieser Frage vor allem H. Barge:
Luther und der Frühkapitalismus, 1951, SVRG Nr. 168, Jg. 58, H. 1; und K. Holl:
Gesammelte Aufsätze III, 1928, S. 358 ff.; für Bucer insbesondere G. Klingenburg:
Das Verhältnis Calvins zu Butzer ..., 1912). - Obschon sich B. mit großer Ent-
schiedenheit gegen jede Lebensform ausgesprochen hat, die dem Gebot christlicher
Nächstenliebe widersprach, konnte er sich doch nicht zu einer völligen Ablehnung
des Zinsnehmens entschließen. Er hat in dieser Frage eine mittlere Linie eingehalten:
Schon in seinen Weißenburger Thesen warnt er vor dem üblichen Zinsnehmen und
bringt den Gedanken in die Debatte, daß wie der Nutzen so auch das Risiko beim
Zinskauf mit in Betracht gezogen werden müsse (vgl. unten, Summary, S. 144).
Der Zinssatz darf nicht starr sein, sondern muß sich in Übereinstimmung mit der
Grundtendenz des Liebesgebotes nach den Verhältnissen des Schuldners richten
(Evangelien-Kommentar 1536, Bibl. Nr. 28a, S. 59 C). In einem der Frage nach der
Berechtigung des Zinsnehmens gewidmeten Traktat »De usura« (Bibl. Nr. 141), der
in England entstanden ist, lehnt B. mit den gleichen Argumenten die rigorose These
des Cambridger Theologieprofessors Joh. Jung ab, »accipere pecuniam pro pecuniae
usu quovismodo esse usuram prohibitam verbo Dei et peccatum«.
16. B. ist in seiner in »Das ym selbs ...« vertretenen Auffassung von den Befug-
nissen der Obrigkeit offenbar sowohl von Luther als auch von Erasmus abhängig. —
Mit Luther, zu dessen Schrift »Von der weltlichen Obrigkeit ...« sich eine ganze
Reihe von Parallelen ergeben, ist B. der Gedanke gemein, daß die Obrigkeit den
Nutzen und die Wohlfahrt der Untertanen im Auge haben muß (WA XI, S. 272).
Wo Luther die Entartung der Obrigkeit streift und die Fürsten als »Gottis stock-
meyster vnd hencker« charakterisiert, stützt er sich wie B. auf Is 3 und Hos 13 (vgl.
unten S. 58, Z. 1 ff., Z. II ff.). Auch im Grundansatz scheint B. mit Luther einig,
wenn er der Obrigkeit den Bereich der äußeren Ordnung zuweist (S. 55, Z. 11 ff.). Aber
er geht dann doch offenbar über Luther hinaus, wenn er im weiteren Verlauf seiner
Erörterungen, wie er es schon früher in einem förmlichen Schreiben an den Straßburger
Rat getan hatte (vgl. unten S. 343 f., Beschluß von Anlage 6, zitiert bei G. Schmidt,
Martin B. als protestantischer Politiker, 1936, S. 25), die Durchführung der Refor-
mation in den Pflichtenkreis der Obrigkeit mit einbezieht (S. 55, Z.22ff. und
S. 57, Z. 18 ff); zu B.s Auffassung von der Obrigkeit vgl. R. Schultz: Martin Butzers
Anschauung von der christl. Obrigkeit, 1932; W. Pauck: Martin Bucer’s Con-
ception of a Christian State (Princeton Theol. Review, 1928, S. 80 ff.); J. Müller,
a.a.O., S. 126 ff. Bei Luther klingt dieser Gedanke auch schon früh an (vgl. etwa
»Von den guten Werken«, 1520, WA VI, S. 257 f., oder in »An den christlichen
Adel ...«, WA VI, S. 415), aber erst in der aus praktischer Notwendigkeit erfolgten
Ausbildung des landesherrlichen Kirchenregimentes wird er verwirklicht. Bei B.
hingegen ist damit ein Wesenszug der Obrigkeit berührt, die als eine von Gott
eingesetzte Institution nur dann ihren Aufgaben gerecht werden kann, wenn sie
sich an die göttliche Ordnung hält, nach der gemäß der alttestamentlichen theo-
kratischen Staatsverfassung das geistliche und das weltliche Regiment nicht vonein-
ander zu trennen sind (zu Luthers Auffassung vgl. bes. K. Holl, a.a.O., I, S. 326 ff..
 
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