38
MARTIN BUCERS FRÜHSCHRIFTEN
Luther hatte sich ja zu all diesen die erregte öffentliche Diskussion
jener Zeit beherrschenden Fragen bereits geäußert, sei es nun in seinen
großen Reformationsschriften oder auch in seinen kleineren Traktaten,
deren Kenntnis man bei Bucer voraussetzen darf. Es scheint, daß Bucer
über die allgemeine luthersche Beeinflussung seiner Gedanken hinaus,
hier sogar in der Konzeption des Titels der vorliegenden Predigt17, wie
auch in Einzelheiten der Gedankenführung und Formulierung von
Luthers »Von der Freiheit eines Christenmenschen« abhängig ist18.
und J. Heckei: Lex charitatis, 1953). - Auf B.s Abhängigkeit von Erasmus (De
institutione Principis ...) hat schon Strohl in seiner Ausgabe von »Das ym selbs ...«
aufmerksam gemacht (S. 11). An verschiedenen Stellen berührt sich B. mit Erasmus
sowohl in der Verwendung der biblischen und klassischen Zitate, als auch in seinen
Gedanken und Formulierungen (Strohl hat verschiedene Stellen abgedruckt: S. 45,
47, 49, 53; vgl. unten. Anm. 67 und 69). Daß die Berührungen mit Erasmus nicht ganz
zufällig sind, mag schon daraus hervorgehen, daß B. die Institutio principis schon
im Verzeichnis seiner Heidelberger Bibliothek aufführt (vgl. Anlage 1, S. 282, Z. 21.).
Über die von Strohl namhaft gemachten Stellen hinaus lassen sich zumal im Blick
auf den Gesamtduktus der Gedankenführung noch mancherlei Parallelen aufzeigen:
Auch bei Erasmus ist der »bonus Princeps« unter dem Gesichtspunkt dargestellt,
daß er ganz für das Gemeinwohl einzustehen hat. »Bonus Princeps non alio animo
esse debet in suos cives quam bonus Paterfamilias in suos domesticos« (g2a). In
seinem Wirken muß er Christus als Vorbild ansehen und die biblische Ethik zum
Prinzip erheben. »Illud ante omnia ac penitus infingendum animo Principis, ut de
Christo quam optime sentiat, huius dogmata commode collecta protinus conbibat ...
Hoc illi persuadetur, quod ille docuit, ad neminem magis pertinere quam ad Principem
(d3a) ... Christianus est, non qui lotus est, non qui unctus, non qui sacris adest, sed
qui Christum intimis complectitur affectibus ac piis factis exprimit« (e2a). Ja, der
Fürst muß gewissermaßen die Verkörperung Gottes und seiner Güte sein: »Princeps
salutaris, ut erudite dictum est a Plutarcho, vivum est quoddam Dei simulacrum, qui
simul optimus est et potentissimus, cui bonitas hoc praestat, ut omnibus prodesse
velit, potentia, ut quibus velit possit quoque« (e4a).
17. Strohl weist in seiner Ausgabe von »Das ym selbs ...« ähnlich wie schon
Gerhart Schmidt (»Martin Butzer als protestantischer Politiker«, 1936) darauf hin,
daß der Titel von B.s Traktat durch Abschnitt 30 von Luthers »Von der Freiheit
eines Christenmenschen« inspiriert sei (S. 7, Anm. 3): »Auß dem allenn folget der
beschluß, das eyn Christenmensch lebt nit ynn yhm selb, sondern ynn Christo und
seynem nehstenn, ynn Christo durch den glauben, ym nehsten durch die liebe.« Viel-
leicht liegt noch näher, an die lateinische Ausgabe zu denken, wo die Präpositionen »in«
weggelassen sind, wodurch die Formulierung B.s dem Luther-Text noch näher rückt.
18. B. hat nie einen Hehl daraus gemacht, wieviel er Luther zu verdanken hatte.
Man darf nur an den begeisterten Brief erinnern, in dem B. seinem Freunde Beatus
Rhenanus den Verlauf von Luthers Heidelberger Disputation schilderte (WA IX,
S. 160 ff.). Zur Frage der Beeinflussung B.s durch Luther und zur eigenartigen Auf-
nahme von Lutherschen Gedanken in B.s Theologie hat Strohl eine beachtenswerte
Untersuchung vorgelegt: »Bucer interprete de Luther« (vgl. oben, Anm. 4). Das
Verhältnis von »Das ym selbs ...« zu »Von der Freiheit eines Christenmenschen«
behandelt Strohl in der genannten Untersuchung wie auch in der Einleitung zu seiner
Ausgabe dieses Traktats; G. Schmidt geht gleichfalls auf diese Frage ein. Aufs Ganze
gesehen dürften die Thesen von Strohl Anerkennung verdienen: »Notre traite ...
MARTIN BUCERS FRÜHSCHRIFTEN
Luther hatte sich ja zu all diesen die erregte öffentliche Diskussion
jener Zeit beherrschenden Fragen bereits geäußert, sei es nun in seinen
großen Reformationsschriften oder auch in seinen kleineren Traktaten,
deren Kenntnis man bei Bucer voraussetzen darf. Es scheint, daß Bucer
über die allgemeine luthersche Beeinflussung seiner Gedanken hinaus,
hier sogar in der Konzeption des Titels der vorliegenden Predigt17, wie
auch in Einzelheiten der Gedankenführung und Formulierung von
Luthers »Von der Freiheit eines Christenmenschen« abhängig ist18.
und J. Heckei: Lex charitatis, 1953). - Auf B.s Abhängigkeit von Erasmus (De
institutione Principis ...) hat schon Strohl in seiner Ausgabe von »Das ym selbs ...«
aufmerksam gemacht (S. 11). An verschiedenen Stellen berührt sich B. mit Erasmus
sowohl in der Verwendung der biblischen und klassischen Zitate, als auch in seinen
Gedanken und Formulierungen (Strohl hat verschiedene Stellen abgedruckt: S. 45,
47, 49, 53; vgl. unten. Anm. 67 und 69). Daß die Berührungen mit Erasmus nicht ganz
zufällig sind, mag schon daraus hervorgehen, daß B. die Institutio principis schon
im Verzeichnis seiner Heidelberger Bibliothek aufführt (vgl. Anlage 1, S. 282, Z. 21.).
Über die von Strohl namhaft gemachten Stellen hinaus lassen sich zumal im Blick
auf den Gesamtduktus der Gedankenführung noch mancherlei Parallelen aufzeigen:
Auch bei Erasmus ist der »bonus Princeps« unter dem Gesichtspunkt dargestellt,
daß er ganz für das Gemeinwohl einzustehen hat. »Bonus Princeps non alio animo
esse debet in suos cives quam bonus Paterfamilias in suos domesticos« (g2a). In
seinem Wirken muß er Christus als Vorbild ansehen und die biblische Ethik zum
Prinzip erheben. »Illud ante omnia ac penitus infingendum animo Principis, ut de
Christo quam optime sentiat, huius dogmata commode collecta protinus conbibat ...
Hoc illi persuadetur, quod ille docuit, ad neminem magis pertinere quam ad Principem
(d3a) ... Christianus est, non qui lotus est, non qui unctus, non qui sacris adest, sed
qui Christum intimis complectitur affectibus ac piis factis exprimit« (e2a). Ja, der
Fürst muß gewissermaßen die Verkörperung Gottes und seiner Güte sein: »Princeps
salutaris, ut erudite dictum est a Plutarcho, vivum est quoddam Dei simulacrum, qui
simul optimus est et potentissimus, cui bonitas hoc praestat, ut omnibus prodesse
velit, potentia, ut quibus velit possit quoque« (e4a).
17. Strohl weist in seiner Ausgabe von »Das ym selbs ...« ähnlich wie schon
Gerhart Schmidt (»Martin Butzer als protestantischer Politiker«, 1936) darauf hin,
daß der Titel von B.s Traktat durch Abschnitt 30 von Luthers »Von der Freiheit
eines Christenmenschen« inspiriert sei (S. 7, Anm. 3): »Auß dem allenn folget der
beschluß, das eyn Christenmensch lebt nit ynn yhm selb, sondern ynn Christo und
seynem nehstenn, ynn Christo durch den glauben, ym nehsten durch die liebe.« Viel-
leicht liegt noch näher, an die lateinische Ausgabe zu denken, wo die Präpositionen »in«
weggelassen sind, wodurch die Formulierung B.s dem Luther-Text noch näher rückt.
18. B. hat nie einen Hehl daraus gemacht, wieviel er Luther zu verdanken hatte.
Man darf nur an den begeisterten Brief erinnern, in dem B. seinem Freunde Beatus
Rhenanus den Verlauf von Luthers Heidelberger Disputation schilderte (WA IX,
S. 160 ff.). Zur Frage der Beeinflussung B.s durch Luther und zur eigenartigen Auf-
nahme von Lutherschen Gedanken in B.s Theologie hat Strohl eine beachtenswerte
Untersuchung vorgelegt: »Bucer interprete de Luther« (vgl. oben, Anm. 4). Das
Verhältnis von »Das ym selbs ...« zu »Von der Freiheit eines Christenmenschen«
behandelt Strohl in der genannten Untersuchung wie auch in der Einleitung zu seiner
Ausgabe dieses Traktats; G. Schmidt geht gleichfalls auf diese Frage ein. Aufs Ganze
gesehen dürften die Thesen von Strohl Anerkennung verdienen: »Notre traite ...