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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]; Buckwalter, Stephen E. [Bearb.]; Schulz, Hans [Bearb.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 10): Schriften zu Ehe und Eherecht — Gütersloh, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.30230#0048
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Nr. 3
Gutachten der Straßburger Prediger
zur Wiederheirat einer unschuldig Geschiedenen
17. Oktober [1527?]

Emleitung
Ahnlich wie in der ersten Schnft dieses Bandes sprechen die Straßburger Prediger
mit dem vorliegenden Gutachten unter offener Mißachtung der Ehegerichtsbarkeit
des Straßburger Bischofs und in deuthchem Widerspruch zum kanonischen Recht1
eine Erlaubms zur Wiederheirat nach Scheidung aus.2 Somit wird diese eherecht-
liche Schaltstelle des Konfhkts zwischen neuem und altem Glauben erneut berührt.3
Im Gegensatz zum ersten Gutachten besteht die gewünschte zweite Ehe noch
nicht de facto; es wird lediglich um die Erlaubnis für die Wiederheirat gebeten. Neu
ist auch die besonders ausführliche Schilderung der Einzelheiten dieses Falles: die
langjährige Mißhandlung der Antragstellerin Felicitas Scherenschlegerin durch lh-
ren Mann Bastian Stettenberger; die schon durch das bischöfliche Ehegericht ge-
währte Scheidung von Tisch und Bett4; das Mißlingen der vom Straßburger Rat ge-
wünschten Aussöhnung zwischen den zerstrittenen Ehepartnern; schließlich die
Verbannung des Ehemannes aus Straßburg.
Ebenfalls ausfiihrlicher ist die von den Predigern vorgebrachte Begründung lhrer
Entscheidung. Gründete sich das erste, von Anton Firn initiierte Gutachten allein auf
das »Wort Gottes«, so wird hier erstmals das römische Recht ausdrückhch zitiertund
in emem Atemzug mit dem Naturrecht und dem Wort Gottes genannt. Bei allem
selbstbewußten Auftreten der Prediger als Eherichter anstelle des Bischofs fällt aber
doch der ausdrückliche Verweis auf die für Ehefragen eigentlich zuständige Instanz,
nämlich den Stadtrat, auf. Zwar beglaubigen die Prediger die volle Ubereinstimmung
der von Felicitas Scherenschlegerin vorgebrachten Bitte mit dem göttlichen Gesetz;
dennoch heben sie die Notwendigkeit ausdrücklich hervor, sich die Erlaubnis für die-
sen Schritt von der welthchen Obrigkeit, die dafür letztlich zuständig sei, zu holen.
Schheßlich fällt auf, daß Bucer erstmals die Liste der Unterschreibenden anführt
1. Nach kanomschem Recht war eine Wiederheirat nach Trennung ganz und gar ausgeschlossen,
da es nur dte Trennung von Tisch und Bett (separatio a mensa et thoro, divortium quoad thorum et
mensam), nicht aber die Scheidung vom Bande (separatio a vinculo matrimonn, divortium quoad
vinculum) anerkannte. Vgl. DS 1327.
2. Besprochen wird dieses Gutachten auch bei Köbler., Zürcher Ehegencht II, S. 377 f. und Sei-
derhuis, Huwehjk, S. 359 (= Marriage, S. 321 f.).
3. Vgl. oben Nr. 1, S. 27-29. In ihren Eheschriften setzten sich alle Reformatoren von Anfang an
für das Recht des unschuldig Geschiedenen ein, wieder heiraten zu dürfen, etwa Luther schon 1520
in seiner Schrift »De captivitate Babylonica«, WA 6, S. 559,29. Vgl. Dieterich, Das protestantische
Eherecht, S. 69 b und 103 h
4. Vgl. unten S. 47,12-14 und Köhler, Ehegericht II, S.377.
 
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