Metadaten

Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]; Buckwalter, Stephen E. [Bearb.]; Schulz, Hans [Bearb.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 10): Schriften zu Ehe und Eherecht — Gütersloh, 2001

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30230#0076
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
72

6. ERSTES GUTACHTEN FÜR DEN ULMER RAT

erwogene Möglichkeit der Aufkündigung des Eheversprechens wird hier unter
Heranziehung des römischen Rechts und mit wenigen Vorbehalten als durchaus le-
gitim dargestellt [i^2v—2^4r].
Dnttens empfiehlt Bucer, die Frage nach den für eine legitime Ehe m Frage kom-
menden Verwandtschaftsgraden gemäß den Bestimmungen des Alten Testaments
(Lev 18) sowie des römischen Rechts zu regeln. Nur Basen und Vettern sollten auf
ihre - sowohl vom göttlichen als auch vom römischen Recht gewährte - Freiheit,
untereinander zu heiraten, verzichten, um keinen sittlichen Anstoß zu erregen
[254r/v]-_
Den vierten Abschnitt seines Gutachtens beginnt Bucer mit der Forderung an die
Obrigkeit, alle Formen von sexueller Unmoral wie Ehebruch und Prostitution sowie
das böswillige Verlassendes Ehepartners aufs schärfste zu bestrafen. Emervon lhrem
Mann böswillig verlassenen Frau müsse zugestanden werden, erneut zu heiraten; lhr
zurückkehrender Mann müsse als Strafe für das Verlassen der Ehefrau, das Bucer dem
Ehebruch gleichstellt, zumindest des Landes verwiesen werden [z54v-256r].
Den fünften und letzten Punkt widmet Bucer der Frage der Ehescheidung. Daß
Mt 19,9 die Ehescheidung nur im Falle von Ehebruch erlaube, bestreitet Bucer. Die
Aussage Jesu, die auf einen eng begrenzten Fall ziele, müsse mit dem Spruch des
Paulus in I Kor 7,15 ergänzt werden, wonach dte Ehescheidung - so Bucer - schon
bei böswilliger Verlassung oder bei Verweigerung der ehehchen Pflicht erlaubt sei
[256^-257^]. Anschließend listet Bucer die zahlreichen Vergehen auf, die nach römi-
schem Recht die Ehescheidung und erneute Heirat des unschuldigen Ehepartners
erlauben [257r-259r],
Dieses Gutachten - so schreibt Bucer zum Schluß - lege dte Bestimmungen des
göttlichen und des römischen Rechts dar, an denen sich ein ktinftiges Ulmer Ehege-
richt orientieren müsse. Die Aufstellung von Gesetzen, die alle Fälle berücksichtig-
ten, sei unmöglich. Deshalb liege viel daran, qualifizierte und sachkundige Männer
in dieses Amt zu wählen. Leitfrage ihrer Arbeit soll die Bestimmung Gottes in Gen
2,18 sein, daß es nicht gut sei, daß der Mensch allein sei. Die Obrigkeit müsse des-
halb alle Hindernisse beseitigen, die Menschen, die zur Ehelosigkeit mcht fähig sind,
zum Alleinsein zwingen [259r/v],

3. Wirkung
Am 22. Juni 1531 befaßte sich der Ulmer Rat mit dem vorhegenden Gutachten. Die
von Bucer darin vorgenommene großangelegte Umstellung der Ehejudikatur auf
das römische Recht bereitete dem Rat offensichtlich gewisses Unbehagen, denn die-
ser gab daraufhin Dr. Hieronymus Roth, dem Ratskonsulenten und Ratsadvokaten
der schwäbischen Reichsstadt, den Auftrag, ein Gegengutachten tm Hmblick auf
die Frage zu erstellen, »ob die Kayserlichen Rechten, in dem selben angezogen, allso
gesetzt, auch m tibung und geprauch seyen«.17 In der Tat nahm Roth zahlreiche

17. Ulm StArch, A [8983 J II, fol.3121. Das Gutachten Roths umfaßt tol. 312r-T)l6v. Vgl. auch
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften