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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]; Buckwalter, Stephen E. [Bearb.]; Schulz, Hans [Bearb.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 10): Schriften zu Ehe und Eherecht — Gütersloh, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.30230#0112
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8. GUTACHTEN ZUR EHE HEINRICHS VIII.

Straßburger eine eindeutige Antwort: Eine Ehe mit der Frau des verstorbenen Bru-
ders sei, zumal wenn sie, wie im Falle Fleinrichs, mit der Zustimmung der Kirche
und der weltlichen Obrigkeit geschlossen wurde, zweifellos legitim. Es sei nicht nur
möglich, sondern geradezu Pflicht, diese Ehe aufrecht zu erhalten. Das in Lev 18,16
ausgesprochene Verbot gelte nur zu Lebzeiten des Bniders und sei nach dessen Tode
nicht bindend [i 54f.].
Zuvor gehen die Prediger auf den Einwand des Grynaeus ein, daß die Vielfalt und
Widersprüchhchkeit der bisher emgegangenen theologischen Stellungnahmen mit
der Einheit der Heihgen Schrift, auf die sich ja alle berufen, unvereinbar sei. In der
Tat lehre die Schnft em und dieselbe Wahrheit, aber der Sinn der Schrift sei für die
Menschen nicht eindeutig und könne nur unter der Leitung des Heiligen Geistes er-
schlossen werden. Die Straßburger Prediger seien bestrebt, eine Antwort zu finden,
die mit dem Willen Gottes übereinstimme [153].21
Der König könne jedoch nicht alle ethische Verantwortung auf die begutachten-
den Theologen abwälzen, denn zum einen müsse er mit dem eigenen, nicht mit ei-
nem fremden Glauben vor Gott bestehen und zum andern hätten die Straßburger
Prediger von vielen Einzelheiten, die für eine umfassende Beurteilung dieses Falles
unentbehrlich seien, keine Kenntnis [154]. Hier gehe es nicht nur um den Königund
die Königin, sondern auch um die Folgen für das ganze Kömgreich, für die Kinder
der Kömgin und für die Kirche.
An anderer Stelle bekennen die Prediger, dem Gewissen des Königs m früheren
Briefen an Grynaeus zu sehr Rechnung getragen zu haben und nun eine strengere
Haltung einnehmen zu wollen [157]. Von den positiven Gutachten vieler europä-
ischer Universitäten sowie von der Zustimmung Zwinglis und Oekolampads zu der
von Hemnch beantragten Nichtigkeitserklärung distanzieren sich die Straßburger
eindeutig. Die Wahrheit dürfe nicht derart vor dem Irrtum weichen, daß man unter
Rücksicht auf das irrende Gewissen des Königs der Königin ein derart großes Un-
recht antue.
In Einklang mit Luther kann Bucer am Schluß des Briefes sogar betonen, daß
Christus uns von den Gesetzen und Riten des alten Bundes befreit und die Ehe ge-
heiligt habe, so daß eine Ehe, die mit Zustimmung der Kirche geschlossen wurde,
unauflöshch sei [158].

3. Wirkung
Das Straßburger Gutachten machte die Aufgabe des Simon Grynaeus mcht leichter,
teilte er selbst doch Zwinglis und Oekolampads befürwortende Haltung zum Ge-
such des englischen Königs und war bestrebt, dem König emen Eindruck von Ein-
stimmigkeit zu vermitteln.22 Noch 1m Januar zögerte er mit der Ubersendung des

21. Als Beispiele hierfür führt Bucer die widersprüchliche Schriftinterpretation der Kirchenväter
sowie die Meinungsverschiedenheit zwischen Paulus und Barnabas (Act 15,38 — 39) an.
22. So plante Grynaeus, die bis Mitte September 1531 eingegangenen Briefe Zwinglis, Oekolam-
 
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