8. REGI QUALEM TU HUNC PRAEDICAS
IO7
Melanchthon spricht sich sogar - wie Bucer - für eine auf diesen Fall beschränkte
Zulassung der Bigamie aus.16
Trotz Ähnlichkeiten mit den Schlußfolgerungen Luthers und Melanchthons ver-
folgte Bucer durchaus einen eigenen Standpunkt17 und gab sich zugleich Mühe, das
Verhältms zu Zwmgli und Oekolampad, die er für einen Abendmahlskonsens mit
den Wittenbergern gewmnen wollte, nicht zu stark zu strapazieren. Der Tod
Zwinglis am 11. Oktober 1531 in der Schlacht bei Kappel sowie Oekolampads
krankheitsbedmgter Tod am 23. November 1531 schufen, so schmerzhaft siefür Bu-
cer waren, unerwartet neue Bedingungen: Da die abweichenden Meinungen des
Zürcher und des Basler Reformators nicht mehr berücksichtigt werden rnußten,
konnten die Straßburger Prediger rasch zu einer selbständigen, abschließenden Stel-
lungnahme finden. Am 30. Dezember 1531 verfaßten sie ein Schreiben für Gry-
naeus, das mehr den Charakter eines zusammenfassenden Gutachtens als den emes
Briefes hat18. Aus diesem Grund wird es in diesen Band aufgenommen.19
2. Inhalt
Die Prediger kündigen zu Beginn ihres Gutachtens an, von welchen Voraussetzun-
gen sie sich leiten ließen: Sie betrachten es als ihre Aufgabe, dem enghschen Kömg
den Willen Gottes mitzuteilen und nehmen sich vor, auf der Grundlage der Heiligen
Schrift Grynaeus eine einfache, unumwundene Antwort auf seine Frage - nämlich,
ob die Ehe mit der Frau des eigenen Bruders als legitim oder illegitim zu betrachten
sei - zu geben [153].
Grynaeus hatte dieser Hauptfrage vier weitere Fragen angehängt, von denen
jedoch nur die erste im späteren Verlauf des Briefes von den Straßburgern ausdrück-
lich beantwortet wird: 1. Ist das in Lev 18,16 verhängte Verbot des ehehchen Um-
gangs mit der Schwester des eigenen Bruders auch nach dem Tode des Bruders bin-
dend? 2. Gelten die an dieser Stelle angedrohten Verfluchungen (vgl. Lev 18,29) für
die Übertretung jedes einzelnen Teiles dieses Gesetzes oder beziehen sie sich nur auf
gewisse Vergehen? 3. War es den Juden jemals erlaubt, nach den Bestimmungen von
Dtn 25,5-10 und ohne eine besondere göttliche Erlaubnis die Schwester des ver-
storbenen Bruders zu heiraten? 4. Kann christliche Freiheit sich aneignen, was die
alttestamentlichen Väter dem Willen und der Eingebung Gottes gemäß vollzogen20?
Auf die Hauptfrage und die sich ihr anschließende erste Nebenfrage finden die
16. Vgl. Pollet II, S. 448 f.
17. So lehnte er in seinem sechsten Brief an Grynaeus vom 9. Oktober 1531 Luthers kategorische
Verneinung der Gültigkeit des mosaischen Gesetzes für die Chnsten ab. Vgl. Pollet II, S.450; Sel-
derhuis, Huwelijk, S. 168 f. (= Marriage, S. 144).
18. Vgl. Pollet II, S. 454: »Cette lettre plus soignee, plus formelle aussi que les precedentes, a l’al-
lure d’un memoire, le seul emanant des Strasbourgeois que nous possedions in extenso.«
19. Diese Entscheidung wurde in Absprache mit den Editoren der Bucer-Korrespondenz in Er-
langen getroffen.
20. Wohl eine Anspielung auf die Polygamie der Väter.
IO7
Melanchthon spricht sich sogar - wie Bucer - für eine auf diesen Fall beschränkte
Zulassung der Bigamie aus.16
Trotz Ähnlichkeiten mit den Schlußfolgerungen Luthers und Melanchthons ver-
folgte Bucer durchaus einen eigenen Standpunkt17 und gab sich zugleich Mühe, das
Verhältms zu Zwmgli und Oekolampad, die er für einen Abendmahlskonsens mit
den Wittenbergern gewmnen wollte, nicht zu stark zu strapazieren. Der Tod
Zwinglis am 11. Oktober 1531 in der Schlacht bei Kappel sowie Oekolampads
krankheitsbedmgter Tod am 23. November 1531 schufen, so schmerzhaft siefür Bu-
cer waren, unerwartet neue Bedingungen: Da die abweichenden Meinungen des
Zürcher und des Basler Reformators nicht mehr berücksichtigt werden rnußten,
konnten die Straßburger Prediger rasch zu einer selbständigen, abschließenden Stel-
lungnahme finden. Am 30. Dezember 1531 verfaßten sie ein Schreiben für Gry-
naeus, das mehr den Charakter eines zusammenfassenden Gutachtens als den emes
Briefes hat18. Aus diesem Grund wird es in diesen Band aufgenommen.19
2. Inhalt
Die Prediger kündigen zu Beginn ihres Gutachtens an, von welchen Voraussetzun-
gen sie sich leiten ließen: Sie betrachten es als ihre Aufgabe, dem enghschen Kömg
den Willen Gottes mitzuteilen und nehmen sich vor, auf der Grundlage der Heiligen
Schrift Grynaeus eine einfache, unumwundene Antwort auf seine Frage - nämlich,
ob die Ehe mit der Frau des eigenen Bruders als legitim oder illegitim zu betrachten
sei - zu geben [153].
Grynaeus hatte dieser Hauptfrage vier weitere Fragen angehängt, von denen
jedoch nur die erste im späteren Verlauf des Briefes von den Straßburgern ausdrück-
lich beantwortet wird: 1. Ist das in Lev 18,16 verhängte Verbot des ehehchen Um-
gangs mit der Schwester des eigenen Bruders auch nach dem Tode des Bruders bin-
dend? 2. Gelten die an dieser Stelle angedrohten Verfluchungen (vgl. Lev 18,29) für
die Übertretung jedes einzelnen Teiles dieses Gesetzes oder beziehen sie sich nur auf
gewisse Vergehen? 3. War es den Juden jemals erlaubt, nach den Bestimmungen von
Dtn 25,5-10 und ohne eine besondere göttliche Erlaubnis die Schwester des ver-
storbenen Bruders zu heiraten? 4. Kann christliche Freiheit sich aneignen, was die
alttestamentlichen Väter dem Willen und der Eingebung Gottes gemäß vollzogen20?
Auf die Hauptfrage und die sich ihr anschließende erste Nebenfrage finden die
16. Vgl. Pollet II, S. 448 f.
17. So lehnte er in seinem sechsten Brief an Grynaeus vom 9. Oktober 1531 Luthers kategorische
Verneinung der Gültigkeit des mosaischen Gesetzes für die Chnsten ab. Vgl. Pollet II, S.450; Sel-
derhuis, Huwelijk, S. 168 f. (= Marriage, S. 144).
18. Vgl. Pollet II, S. 454: »Cette lettre plus soignee, plus formelle aussi que les precedentes, a l’al-
lure d’un memoire, le seul emanant des Strasbourgeois que nous possedions in extenso.«
19. Diese Entscheidung wurde in Absprache mit den Editoren der Bucer-Korrespondenz in Er-
langen getroffen.
20. Wohl eine Anspielung auf die Polygamie der Väter.