Nr. 15
Gutachten Bucers zur Frage etner Doppelehe
für Philipp von Hessen
Argumenta Buceri pro et contra
zwischen 6. November und 23. Dezember 1539
Einleitung
1. Entstehung
Am späten Abend des 4. November 1539 suchte der gerade in Straßburg emgetrof-
fene Gereon Sailer1, ein enger Vertrauter und Leibarzt des Landgrafen Philipp von
Hessen2, Bucer auf, um lhn dringend um einen Gesprächstermin zu bitten.3 Der
Straßburger Reformator heß sich trotz großer Arbeitslast zu einer Zusammenkunft
am folgenden Morgen überreden. Am 5. November berichtete ihm Sailer in aller
Ausführlichkeit von schwerwiegenden Eheproblemen des hessischen Landgrafen.
Dieser hatte sich von seiner Frau Christina von Sachsen4 schon vor Jahren völlig
entfremdet und führte seitdem ein promiskuitives Leben, das ihm heftige Gewis-
senskonfhkte bereitete und auch gesundheithch schwere Folgen mit sich brachte.5
Inzwischen fürchtete Philipp um sein Seelenheil6 und war willens, seinem bisheri-
gen unzüchtigen Lebenswandel ein Ende zu machen. Da er aber nicht sexuell ent-
haltsam leben zu können memte und das Zusammenleben mit seiner Frau Christina
für ausgeschlossen hielt, sah er keinen anderen Ausweg, als eine Doppelehe anzu-
streben, für die er die theologische Legitimation der Wittenberger Theologen und
die pohtische Unterstützung des sächsischen Kurfürsten wünschte.
Zu diesem Zweck hatte er Gereon Sader nach Straßburg geschickt. Der Augs-
1. Zu ihm vgl. oben S. 427, Anm. 3.
2. Zu lhm vgl. TRE 26, S. 492-497.
3. Zu dieser Schrift und ihrer Entstehung vgl. Eells, Attitude, S. 58-87; Rockwell, Doppelehe,
S. 1-24 und 226-228; Selderhuis, Huwelijk, S. 173-180 (= Marriage, S. 149-156); Greschat, Bucer,
S. 168-171; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Nr. 1153 h, S. 381. Der Brief Sailers an
Philipp vom 6. November 1 539, m dem er über seinen Besuch bei Bucer benchtet, m Lenz I, S. 345 f.
Vgl. auch Brecht, Luther III, S. 205—209.
4. Philipp heiratete sie am 11. Dezember 1523, als er sechzehn Jahre alt war. Seine Braut war die
Tochter des Herzogs Georg von Sachsen.
5. Philipp htt an einer Syphihserkrankung, die m der ersten Hälfte des Jahres 1539 mehrmals
akut wurde. Deswegen mußte der Landgraf vorzeitig von den Frankfurter Verhandlungen 1m Früh-
jahr 1539 abreisen. Vgl. Bucers Bnef an Ambrosius Blarer vom 30. Apnl 1539, Schieß II, S.23. Bucer
verfolgte die Erkrankung Phihpps mit großer Sorge und gab dem Landgrafen m seinen Bnefen me-
dizinische Empfehlungen. Vgl. etwa Lenz I, S.70F und 98.
6. Vgl. Lenz I, S.353.
Gutachten Bucers zur Frage etner Doppelehe
für Philipp von Hessen
Argumenta Buceri pro et contra
zwischen 6. November und 23. Dezember 1539
Einleitung
1. Entstehung
Am späten Abend des 4. November 1539 suchte der gerade in Straßburg emgetrof-
fene Gereon Sailer1, ein enger Vertrauter und Leibarzt des Landgrafen Philipp von
Hessen2, Bucer auf, um lhn dringend um einen Gesprächstermin zu bitten.3 Der
Straßburger Reformator heß sich trotz großer Arbeitslast zu einer Zusammenkunft
am folgenden Morgen überreden. Am 5. November berichtete ihm Sailer in aller
Ausführlichkeit von schwerwiegenden Eheproblemen des hessischen Landgrafen.
Dieser hatte sich von seiner Frau Christina von Sachsen4 schon vor Jahren völlig
entfremdet und führte seitdem ein promiskuitives Leben, das ihm heftige Gewis-
senskonfhkte bereitete und auch gesundheithch schwere Folgen mit sich brachte.5
Inzwischen fürchtete Philipp um sein Seelenheil6 und war willens, seinem bisheri-
gen unzüchtigen Lebenswandel ein Ende zu machen. Da er aber nicht sexuell ent-
haltsam leben zu können memte und das Zusammenleben mit seiner Frau Christina
für ausgeschlossen hielt, sah er keinen anderen Ausweg, als eine Doppelehe anzu-
streben, für die er die theologische Legitimation der Wittenberger Theologen und
die pohtische Unterstützung des sächsischen Kurfürsten wünschte.
Zu diesem Zweck hatte er Gereon Sader nach Straßburg geschickt. Der Augs-
1. Zu ihm vgl. oben S. 427, Anm. 3.
2. Zu lhm vgl. TRE 26, S. 492-497.
3. Zu dieser Schrift und ihrer Entstehung vgl. Eells, Attitude, S. 58-87; Rockwell, Doppelehe,
S. 1-24 und 226-228; Selderhuis, Huwelijk, S. 173-180 (= Marriage, S. 149-156); Greschat, Bucer,
S. 168-171; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Nr. 1153 h, S. 381. Der Brief Sailers an
Philipp vom 6. November 1 539, m dem er über seinen Besuch bei Bucer benchtet, m Lenz I, S. 345 f.
Vgl. auch Brecht, Luther III, S. 205—209.
4. Philipp heiratete sie am 11. Dezember 1523, als er sechzehn Jahre alt war. Seine Braut war die
Tochter des Herzogs Georg von Sachsen.
5. Philipp htt an einer Syphihserkrankung, die m der ersten Hälfte des Jahres 1539 mehrmals
akut wurde. Deswegen mußte der Landgraf vorzeitig von den Frankfurter Verhandlungen 1m Früh-
jahr 1539 abreisen. Vgl. Bucers Bnef an Ambrosius Blarer vom 30. Apnl 1539, Schieß II, S.23. Bucer
verfolgte die Erkrankung Phihpps mit großer Sorge und gab dem Landgrafen m seinen Bnefen me-
dizinische Empfehlungen. Vgl. etwa Lenz I, S.70F und 98.
6. Vgl. Lenz I, S.353.