15. ARGUMENTA BUCERI PRO ET CONTRA
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burger Arzt sollte Bucer bitten, dem Vorhaben des Landgrafen zuzustimmen und
dieses theologisch zu rechtfertigen; vor allem aber sollte er den wortgewandten
Straßburger dazu bnngen, Luther, Melanchthon und Johann Friedrich von Sachsen
ebenfalls von der Legitimität einer möglichen Doppelehe zu überzeugen.7
Buccrs erste Reaktion war ausgesprochen negativ.8 Trotzdem war er entschlossen,
den Landgrafen mit diesem schwierigen Problem mcht allein zu lassen, und erklärte
sich sogar bereit, lhn m Hessen aufzusuchen.9 Am 17. November 1539 verließ er
Straßburg, und am Ende des Monats führte er m Melsungen Beratungen mit Philipp
durch. So abscheuhch Bucer das Vorhaben Phihpps auch fand, schien er dennoch
bestrcbt, eine Lösung zu finden, die den Landgrafen von seiner Gewissensnot be-
freien konnte.10 Daß diese Lösung auf alle Fälle geheimgehalten werden mußte,
stand für Bucer von vornherein fest.11 Von Bedeutung war aber auch, daß Sailer und
Philipp von Hessen Bucer zunächst verschwiegen hatten, daß er, der Landgraf,
schon jemanden als möghche Zweitfrau 1m Auge und bereits sehr konkrete Heirats-
pläne angestellt hatte.12 Für Bucer, wie auch später für Luther und Melanchthon,
scheinen die Erwägungen des Landgrafen zunächst mehr theoretischer Art gewesen
zu sein.13
7. Bucer hatte seine vermittelnden Fähigkeiten beim Zustandekommen der Wittenberger Kon-
kordie 1536 sowie bei der Disputation mit hessischen Täuferführern 1m Herbst 1538 eindrückhch
unter Beweis gestellt. Vgl. Eells, Attitude, S.62; Greschat, Bucer, S. 164.
8. Brief Sailers an Philipp vom 6. November 1539: »her Bucerus [war] gantz hart ab der sache
entsetzt«, Lenz I, S. 345; auf Bigamie stand m den meisten Städten des Reiches — auch m Straßburg —
die Todesstrafe (vgl. unten S. 522, Anm. 363); auch die Peinliche Halsgenchtsordnung von Kaiser
Karl V. vom Jahre 1532 hatte dic Bigamie unter die Strafe des Ehebruchs gestellt; darüber hinaus
mußten die Zeitgenossen jeglichen Fall von Doppelehe mit den verrufenen polygamistischen Expe-
rimenten des Täuferreichs zu Münster (1534/35) assozneren, von denen sich Bucer auch aufs ent-
schiedenste distanzierte.
9. Brief Bucers an Philipp vom 14. November 1539, Lenz I, S. n6f.
10. Auch politische Faktoren mögen bei Bucers Uberlegungen eine — wenn auch germge — Rolle
gespielt haben: Philipp von Hessen stellte für den Schmalkaldischen Bund eine zentrale mihtänsche
Stütze dar. Vgl. Greschat, Bucer, S. 169.
11. Bnef Sailers an Philipp vom 11. November 1539: »Bucerus hgt nur auff dem haimhchen«,
Lenz I, S. 347. Vgl. auch den Bnef Sailers an Philipp vom 6. November 1 539: »Bucerum sicht fir guet
an, das ich gar mit memandt von disem handel rede«, Lenz I, S. 346.
12. Philipp hatte Margarete von der Sale 1m Sommer 1539 kennengelernt und wollte sie heiraten.
Die Mutter Margaretes, Anna von der Sale — die Hofmeisterin von Philipps Schwester Elisabeth, die
mit Johann, dem Sohn Herzog Georgs, verheiratet war — bestand auf eine vollgültige Ehe. Die Auf-
listung der Bedingungen Annas gegenüber dem Landgrafen bei Rockwell, Doppelehe, S. 3 i6f.; Vgl.
auch Eells, Attitude, S. 61 f.; Brecht, Luther III, S.205.
13. Es ist schwer, genau zu urteilen, ab welchem Zeitpunkt Bucer, Luther und Melanchthon von
der am 4. März 1540 stattzufindenden Hochzeit mit Margarate von der Sale wußten. Vgl. Selder-
huis, Huwelijk, S. 175 f. (= Marriage, S. 151 f.); Eells, Attitude, S. 73 f.; Brecht^ Luther III, S. 207. In
einem Bnef an Philipp vom 18. Juli 1540 hat Bucer lhm vorgehalten: »Doch habe lch kein starcke lu-
gen gerathen, nach wemger, eerlich contract mit oneeren zerreißen, sonder nit wemger freie warheit
dann dise war, da lch fraget, ob dazu jemand 1m gemiet furgenomen were, und man mir frei >nein<
sagt und es darnach zusamen reimet, man hette es mt vorgehabt alß gewiß, dann man nach [= noch]
mt jedermanns willen gewußt etc.« Hier bezieht sich Bucer auf seine Unterredung mit Philipp m
Melsungen Ende November 1539. Vgl. Lenz I, S. 193 mit Anm. 3; Rockwell, Doppelehe, S. 61.
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burger Arzt sollte Bucer bitten, dem Vorhaben des Landgrafen zuzustimmen und
dieses theologisch zu rechtfertigen; vor allem aber sollte er den wortgewandten
Straßburger dazu bnngen, Luther, Melanchthon und Johann Friedrich von Sachsen
ebenfalls von der Legitimität einer möglichen Doppelehe zu überzeugen.7
Buccrs erste Reaktion war ausgesprochen negativ.8 Trotzdem war er entschlossen,
den Landgrafen mit diesem schwierigen Problem mcht allein zu lassen, und erklärte
sich sogar bereit, lhn m Hessen aufzusuchen.9 Am 17. November 1539 verließ er
Straßburg, und am Ende des Monats führte er m Melsungen Beratungen mit Philipp
durch. So abscheuhch Bucer das Vorhaben Phihpps auch fand, schien er dennoch
bestrcbt, eine Lösung zu finden, die den Landgrafen von seiner Gewissensnot be-
freien konnte.10 Daß diese Lösung auf alle Fälle geheimgehalten werden mußte,
stand für Bucer von vornherein fest.11 Von Bedeutung war aber auch, daß Sailer und
Philipp von Hessen Bucer zunächst verschwiegen hatten, daß er, der Landgraf,
schon jemanden als möghche Zweitfrau 1m Auge und bereits sehr konkrete Heirats-
pläne angestellt hatte.12 Für Bucer, wie auch später für Luther und Melanchthon,
scheinen die Erwägungen des Landgrafen zunächst mehr theoretischer Art gewesen
zu sein.13
7. Bucer hatte seine vermittelnden Fähigkeiten beim Zustandekommen der Wittenberger Kon-
kordie 1536 sowie bei der Disputation mit hessischen Täuferführern 1m Herbst 1538 eindrückhch
unter Beweis gestellt. Vgl. Eells, Attitude, S.62; Greschat, Bucer, S. 164.
8. Brief Sailers an Philipp vom 6. November 1539: »her Bucerus [war] gantz hart ab der sache
entsetzt«, Lenz I, S. 345; auf Bigamie stand m den meisten Städten des Reiches — auch m Straßburg —
die Todesstrafe (vgl. unten S. 522, Anm. 363); auch die Peinliche Halsgenchtsordnung von Kaiser
Karl V. vom Jahre 1532 hatte dic Bigamie unter die Strafe des Ehebruchs gestellt; darüber hinaus
mußten die Zeitgenossen jeglichen Fall von Doppelehe mit den verrufenen polygamistischen Expe-
rimenten des Täuferreichs zu Münster (1534/35) assozneren, von denen sich Bucer auch aufs ent-
schiedenste distanzierte.
9. Brief Bucers an Philipp vom 14. November 1539, Lenz I, S. n6f.
10. Auch politische Faktoren mögen bei Bucers Uberlegungen eine — wenn auch germge — Rolle
gespielt haben: Philipp von Hessen stellte für den Schmalkaldischen Bund eine zentrale mihtänsche
Stütze dar. Vgl. Greschat, Bucer, S. 169.
11. Bnef Sailers an Philipp vom 11. November 1539: »Bucerus hgt nur auff dem haimhchen«,
Lenz I, S. 347. Vgl. auch den Bnef Sailers an Philipp vom 6. November 1 539: »Bucerum sicht fir guet
an, das ich gar mit memandt von disem handel rede«, Lenz I, S. 346.
12. Philipp hatte Margarete von der Sale 1m Sommer 1539 kennengelernt und wollte sie heiraten.
Die Mutter Margaretes, Anna von der Sale — die Hofmeisterin von Philipps Schwester Elisabeth, die
mit Johann, dem Sohn Herzog Georgs, verheiratet war — bestand auf eine vollgültige Ehe. Die Auf-
listung der Bedingungen Annas gegenüber dem Landgrafen bei Rockwell, Doppelehe, S. 3 i6f.; Vgl.
auch Eells, Attitude, S. 61 f.; Brecht, Luther III, S.205.
13. Es ist schwer, genau zu urteilen, ab welchem Zeitpunkt Bucer, Luther und Melanchthon von
der am 4. März 1540 stattzufindenden Hochzeit mit Margarate von der Sale wußten. Vgl. Selder-
huis, Huwelijk, S. 175 f. (= Marriage, S. 151 f.); Eells, Attitude, S. 73 f.; Brecht^ Luther III, S. 207. In
einem Bnef an Philipp vom 18. Juli 1540 hat Bucer lhm vorgehalten: »Doch habe lch kein starcke lu-
gen gerathen, nach wemger, eerlich contract mit oneeren zerreißen, sonder nit wemger freie warheit
dann dise war, da lch fraget, ob dazu jemand 1m gemiet furgenomen were, und man mir frei >nein<
sagt und es darnach zusamen reimet, man hette es mt vorgehabt alß gewiß, dann man nach [= noch]
mt jedermanns willen gewußt etc.« Hier bezieht sich Bucer auf seine Unterredung mit Philipp m
Melsungen Ende November 1539. Vgl. Lenz I, S. 193 mit Anm. 3; Rockwell, Doppelehe, S. 61.