448 10. gespräch mit hessischen täufern
von Schleier Anfang Mai 1536 bei Gemünden an der Wohra inhaftiert worden ¹ ,
hatten aber den größten Teil ihrer Gefangenschaft auf dem landgräflichen Schloß in
Wolkersdorf verbracht ² .Schon am Morgen nach seiner Ankunft in Marburg am
29. Oktober 1538 ³ begann Bucer mit der Disputation, die sich über drei Tage erstreckte.
Es ist bemerkenswert, daß einer der gefangenen Täuferführer, als er von
Bucer gebeten wurde, den Hauptgegenstand des Streites präzise zu nennen, nicht
die Kindertaufe oder sonstige dogmatisch-theologische Lehrpunkte erwähnte,
sondern praktische Fragen, namentlich den Umgang des evangelischen Klerus mit
Geld und die seiner Meinung nach zu laxe Handhabung der Kirchenzucht. Speziell
warfen die Täufer den Vertretern der Amtskirche vor, es bei der Verwaltung des
»Gemeinen Kastens« an Sensibilität gegenüber den Armen vor Ort fehlen zu lassen,
ja sich sogar des Wuchers schuldig zu machen. Darüber hinaus bezichtigten sie sowohl
die landeskirchlichen Pfarrer als auch deren Pfarrkinder der Vernachlässigung
der Kirchendisziplin sowie der Pflege eines unchristlichen Lebenswandels. ⁴ In den
Verhandlungen bemühte sich Bucer um eine biblisch fundierte Widerlegung der von
den Täufern geforderten Absonderung der wahren Kirche von den sündhaften Namenschristen,
kam seinen Gesprächspartnern aber bei der Bekräftigung der unbedingten
Notwendigkeit der Kirchenzucht und des Banns weit entgegen. ⁵
Das Gesprächsprotokoll kann folgendermaßen zusammengefaßt werden:
I. Mittwoch, den 30. Oktober 1538 [1 ʳ –10 ᵛ ]
A. Auflistung der Disputationsteilnehmer und Anwesenden seitens der Obrigkeit
und der Amtskirche; Einigung mit den Täufern bezüglich der Disputationsmodalitäten
[1 ʳ/ᵛ ]
B. Disputation mit Georg Schnabel [1 ᵛ –10 ᵛ ]
1. Anwendung des Banns [2 ᵛ –4 ᵛ ]
a) Auf den Vorwurf Schnabels hin, die Kirche übe eine zu lasche Disziplin
aus, bekräftigt Bucer, daß jede Kirchengemeinschaft eine ethisch
verantwortbare Lebensführung von ihren Mitgliedern einfordern
muß; wer dem nicht nachkommt, soll ausgeschlossen werden.
b) Bucer bestätigt: Der Bann ist zum Bestehen einer Kirche unentbehrlich.
1. Eshandelte sich um dieselbe Aktion, die zur Anfrage Landgrafs Philipps von Hessen geführt
hat, die Bucer mit seinem oben edierten ›Ratschlag der Wiedertäufer halber‹ (vgl. oben S. 437–446)
im Sommer 1536 beantwortete (vgl. Franz, TAHessen, Nr. 44, S.90 sowie oben S. 426).
2. Vgl. unten S. 471, Anm. 8. Dort genossen sie eine gewisse Bewegungsfreiheit (vgl. Deppermann,
Melchior Hoffman, S. 325; Wappler, Die Stellung Kursachsens, S. 69–73; Lenz I, S. 318–320).
Anläßlich der Disputation mit Bucer wurden sie dann nach Marburg verlegt.
3. Bucer verließ Straßburg am 11.Oktober 1538 und kam in Marburg am 29.Oktober an (Rott,
Liste alphabétique, S. 99 ist nach Lenz I, S.46 und Franz, TAHessen, S.237 zu korrigieren).
4. Eine umfassende Diskussion dieses Aspektes der täuferischen Kritik an der Moral ihrer Umgebung
bietet von Friedeburg, Untertanen und Täufer.
5. Unentbehrlich für die Interpretation dieser Disputation ist auch der Brief Bucers an Philipp
von Hessen vom 2. November 1538, inwelchem er über den Verlauf der Auseinandersetzung ausführlich
berichtet (Lenz I, Nr. 16, S.46 f.; Franz, TAHessen, Nr.79, S.237–239).
von Schleier Anfang Mai 1536 bei Gemünden an der Wohra inhaftiert worden ¹ ,
hatten aber den größten Teil ihrer Gefangenschaft auf dem landgräflichen Schloß in
Wolkersdorf verbracht ² .Schon am Morgen nach seiner Ankunft in Marburg am
29. Oktober 1538 ³ begann Bucer mit der Disputation, die sich über drei Tage erstreckte.
Es ist bemerkenswert, daß einer der gefangenen Täuferführer, als er von
Bucer gebeten wurde, den Hauptgegenstand des Streites präzise zu nennen, nicht
die Kindertaufe oder sonstige dogmatisch-theologische Lehrpunkte erwähnte,
sondern praktische Fragen, namentlich den Umgang des evangelischen Klerus mit
Geld und die seiner Meinung nach zu laxe Handhabung der Kirchenzucht. Speziell
warfen die Täufer den Vertretern der Amtskirche vor, es bei der Verwaltung des
»Gemeinen Kastens« an Sensibilität gegenüber den Armen vor Ort fehlen zu lassen,
ja sich sogar des Wuchers schuldig zu machen. Darüber hinaus bezichtigten sie sowohl
die landeskirchlichen Pfarrer als auch deren Pfarrkinder der Vernachlässigung
der Kirchendisziplin sowie der Pflege eines unchristlichen Lebenswandels. ⁴ In den
Verhandlungen bemühte sich Bucer um eine biblisch fundierte Widerlegung der von
den Täufern geforderten Absonderung der wahren Kirche von den sündhaften Namenschristen,
kam seinen Gesprächspartnern aber bei der Bekräftigung der unbedingten
Notwendigkeit der Kirchenzucht und des Banns weit entgegen. ⁵
Das Gesprächsprotokoll kann folgendermaßen zusammengefaßt werden:
I. Mittwoch, den 30. Oktober 1538 [1 ʳ –10 ᵛ ]
A. Auflistung der Disputationsteilnehmer und Anwesenden seitens der Obrigkeit
und der Amtskirche; Einigung mit den Täufern bezüglich der Disputationsmodalitäten
[1 ʳ/ᵛ ]
B. Disputation mit Georg Schnabel [1 ᵛ –10 ᵛ ]
1. Anwendung des Banns [2 ᵛ –4 ᵛ ]
a) Auf den Vorwurf Schnabels hin, die Kirche übe eine zu lasche Disziplin
aus, bekräftigt Bucer, daß jede Kirchengemeinschaft eine ethisch
verantwortbare Lebensführung von ihren Mitgliedern einfordern
muß; wer dem nicht nachkommt, soll ausgeschlossen werden.
b) Bucer bestätigt: Der Bann ist zum Bestehen einer Kirche unentbehrlich.
1. Eshandelte sich um dieselbe Aktion, die zur Anfrage Landgrafs Philipps von Hessen geführt
hat, die Bucer mit seinem oben edierten ›Ratschlag der Wiedertäufer halber‹ (vgl. oben S. 437–446)
im Sommer 1536 beantwortete (vgl. Franz, TAHessen, Nr. 44, S.90 sowie oben S. 426).
2. Vgl. unten S. 471, Anm. 8. Dort genossen sie eine gewisse Bewegungsfreiheit (vgl. Deppermann,
Melchior Hoffman, S. 325; Wappler, Die Stellung Kursachsens, S. 69–73; Lenz I, S. 318–320).
Anläßlich der Disputation mit Bucer wurden sie dann nach Marburg verlegt.
3. Bucer verließ Straßburg am 11.Oktober 1538 und kam in Marburg am 29.Oktober an (Rott,
Liste alphabétique, S. 99 ist nach Lenz I, S.46 und Franz, TAHessen, S.237 zu korrigieren).
4. Eine umfassende Diskussion dieses Aspektes der täuferischen Kritik an der Moral ihrer Umgebung
bietet von Friedeburg, Untertanen und Täufer.
5. Unentbehrlich für die Interpretation dieser Disputation ist auch der Brief Bucers an Philipp
von Hessen vom 2. November 1538, inwelchem er über den Verlauf der Auseinandersetzung ausführlich
berichtet (Lenz I, Nr. 16, S.46 f.; Franz, TAHessen, Nr.79, S.237–239).