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SCHRIFTEN DER JAHRE I538-I539
glaubens und geysts nit hoch berhümen Und müssen die hindernüssen
Christlicher Zucht und büß bei uns nit [78 (X 2) b] der zeit, nit der
Bäpstlichen Zerstörung, nit der predige wider die Bäpstliche tyrannei
und von Christlicher freiheyt 318, sonder unserm Unglauben und falscher
gleißnerei züschreiben, die wir uns Christlichs glaubens vil berhümen 5
und sein aber wenig haben, uns auch wenig darnach, das alles nach
rechter art des glaubens angericht würde, sehnen. Dann wir das wort
und den befelch des Herrn verachten, ja, für unnütz und schädlich
halten, darin er doch uns das ewig leben versprichet, anbeuttet und
mitteylen wille. 10
So vil uff das argument von der Zerstörung Christlichs volcks und
der ungehorsame, die durch die Bäpstler eingefüret ist, von deren wegen
die Christliche Zucht solte auch mehr ergerlich dann besserlich und also
anzurichten unmöglich sein.
Nun uff das ander argument zu antworten, von der vile 3* 9 und ver- 15
mischung der Christen, derhalben yetz nit solte die gelegenheyt zur
Kirchenzucht sein, als zur zeit der Apostel und martyrer, da die Kirchen
kleyn und der Christen wenig waren, auch under denselbigen nit so vil
unchristen eingemischet; Hieruff geben wir die antwort: Es mag den
heyligen geyst, das er sein werck, als von anfang der Kirchen, in den 20
seinen übe, nicht verhinderen, weder das der Christen vil sind, noch
das vil in allen Stenden und diensten der Kirchen wollen Christen sein,
die es aber in der warheyt nit sind. Es hat doch der h. geyst diß sein
werck der Zucht und büß in seinen Kirchen steiff und ernstlich gehalten
und geübet, da sie wol grösser an der zal der leuten gewesen sind dann 25
[79 (X 3) a] yetzund, da auch der bösen bock under den Schafen Christi,
desgleichen der schwachen und presthafften 320 schafen nit weniger
gewesen seind dann yetzund.
Es hat das h. Evangelium noch zun Zeiten Pauli in aller weit gefrüch-
tet, wie der Apostel rhümet Coloss. i. [6] und hat von dem an also 30
fürtrungen und von der zeit Constantini in aller weit also überhandt ge-
nommen, das im ccclvii. jar Christi schon die götzentempel verschlossen
und aller götzendienst sampt aller abgötterei der Heyden mit höchsten
penen 321 verbotten und die Kirchen in allen landen verordnet waren,
soweit dazumal das Römisch reich wäre und noch weiter 322; Nun 35
318. Der Vorwurf, die Predigt der christlichen Freiheit habe die Kirchlichkeit
aufgelöst, taucht gleich zu Beginn der Reformation auf, vgl. Erasmus: Ep. in Pseud-
evangelicos (CI X, S. 1578 bff.).
319. Menge.
320. Kränklich.
321. Strafen.
322. Cod. Theod. 16, 10, 4 (wahrsch. 346 oder 354 p. Chr.). Zum Verbot heid-
nischen Kultes durch Konstantin und Konstantius vgl. H. Eietsynann: Gesch. der
alten Kirche III. S. 236.
SCHRIFTEN DER JAHRE I538-I539
glaubens und geysts nit hoch berhümen Und müssen die hindernüssen
Christlicher Zucht und büß bei uns nit [78 (X 2) b] der zeit, nit der
Bäpstlichen Zerstörung, nit der predige wider die Bäpstliche tyrannei
und von Christlicher freiheyt 318, sonder unserm Unglauben und falscher
gleißnerei züschreiben, die wir uns Christlichs glaubens vil berhümen 5
und sein aber wenig haben, uns auch wenig darnach, das alles nach
rechter art des glaubens angericht würde, sehnen. Dann wir das wort
und den befelch des Herrn verachten, ja, für unnütz und schädlich
halten, darin er doch uns das ewig leben versprichet, anbeuttet und
mitteylen wille. 10
So vil uff das argument von der Zerstörung Christlichs volcks und
der ungehorsame, die durch die Bäpstler eingefüret ist, von deren wegen
die Christliche Zucht solte auch mehr ergerlich dann besserlich und also
anzurichten unmöglich sein.
Nun uff das ander argument zu antworten, von der vile 3* 9 und ver- 15
mischung der Christen, derhalben yetz nit solte die gelegenheyt zur
Kirchenzucht sein, als zur zeit der Apostel und martyrer, da die Kirchen
kleyn und der Christen wenig waren, auch under denselbigen nit so vil
unchristen eingemischet; Hieruff geben wir die antwort: Es mag den
heyligen geyst, das er sein werck, als von anfang der Kirchen, in den 20
seinen übe, nicht verhinderen, weder das der Christen vil sind, noch
das vil in allen Stenden und diensten der Kirchen wollen Christen sein,
die es aber in der warheyt nit sind. Es hat doch der h. geyst diß sein
werck der Zucht und büß in seinen Kirchen steiff und ernstlich gehalten
und geübet, da sie wol grösser an der zal der leuten gewesen sind dann 25
[79 (X 3) a] yetzund, da auch der bösen bock under den Schafen Christi,
desgleichen der schwachen und presthafften 320 schafen nit weniger
gewesen seind dann yetzund.
Es hat das h. Evangelium noch zun Zeiten Pauli in aller weit gefrüch-
tet, wie der Apostel rhümet Coloss. i. [6] und hat von dem an also 30
fürtrungen und von der zeit Constantini in aller weit also überhandt ge-
nommen, das im ccclvii. jar Christi schon die götzentempel verschlossen
und aller götzendienst sampt aller abgötterei der Heyden mit höchsten
penen 321 verbotten und die Kirchen in allen landen verordnet waren,
soweit dazumal das Römisch reich wäre und noch weiter 322; Nun 35
318. Der Vorwurf, die Predigt der christlichen Freiheit habe die Kirchlichkeit
aufgelöst, taucht gleich zu Beginn der Reformation auf, vgl. Erasmus: Ep. in Pseud-
evangelicos (CI X, S. 1578 bff.).
319. Menge.
320. Kränklich.
321. Strafen.
322. Cod. Theod. 16, 10, 4 (wahrsch. 346 oder 354 p. Chr.). Zum Verbot heid-
nischen Kultes durch Konstantin und Konstantius vgl. H. Eietsynann: Gesch. der
alten Kirche III. S. 236.