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SCHRIFTEN DER JAHRE I 5 3 8-1 539
ANLAGE I
Über die »Ehepriester« 1
Bucer verweist für sein Verständnis der paulinischen Aussage »eines
Weibes Mann« auf die Exegese, die Johannes Chrysostomus zu den
betreffenden Stellen gebracht hat. In der Auseinandersetzung mit 5
Bartholomäus Latomus in den »Scripta duo adversaria D. Bartholomaei
Latomi LL. Doctoris, et Martini Buceri theologi« von 15 44 2 hat er
sein Verständnis der Chrysostomusstellen im Abschnitt über den
Coelibat auf den Seiten 76 ff. ausführlich dargelegt. Zunächst geht es
um die Auslegung von 1 Tim 3. Dazu merkt Chrysostomus an, daß 10
Paulus die Worte »unius uxoris vir« anführt, da es den Juden erlaubt
gewesen sei »secundas adire nuptias et duas semel habere uxores 3«.
Dabei meint aber Chrysostomus nach dem Verständnis Bucers nicht
zwei Sachverhalte - nämlich, um in der Sprache des späteren Kirchen-
rechts zu reden, die bigamia successiva und die bigamia vera -, sondern 15
drückt in der Doppelung des Ausdrucks dieselbe Sache aus: nur die
bigamia vera ist verboten 4 5. Danach geht Bucer auf die Auslegung ein,
die Chrysostomus Tit 1 gegeben hat: In Tit 1 wendet sich Paulus gegen
Häretiker, die die Ehe gänzlich verdammen, daneben richtet er sich auch
gegen gewisse impudici, von denen er nicht will, daß sie zum Kirchen- 20
amt nach einer zweiten Ehe (post secundas nuptias) zugelassen werden:
»nam qui erga defunctam uxorem nullam servavit benevolentiam,
quomodo bonus ecclesiae praesul esse potuerit? 3«. Daraus schließt
Bucer, daß sich Chrysostomus nur gegen die zweiten Ehen »lascivorum
et impudicorum hominum« wendet, gegen solche, »qui viva uxore sua 25
legitima alteram duxerit«, oder, »qui duas habuerit simul«, oder,» qui
alteram repudiata priore habuerit 6«. Außerdem ist die lateinische Über-
setzung falsch. Das im griechischen Text stehende Wort ScTteX&ovcrocv
darf im Lateinischen nicht mit »defunctam« wiedergegeben werden,
sondern mit einer Form von »abire 7«. Daraus folgt für Bucer eindeutig, 30
daß die kirchliche Exegese, nach der die Paulusstelle bedeutet, daß ein
Geistlicher in seinem ganzen Leben nur eine Frau haben dürfe, eine
Sondermeinung der abendländischen Väter Ambrosius, Hieronymus
und Augustin ist. Eine solche private Anschauung aber darf in der Kirche
1. Vgl. A.Baum, S. 39 ff.
2. Bibi. Nr. 78.
3. MSG 62,547.
4. Scripta duo, S. 77.
5. MSG 62,671.
6. Scripta duo, S. 79.
7. Ebd. S. 79f.
SCHRIFTEN DER JAHRE I 5 3 8-1 539
ANLAGE I
Über die »Ehepriester« 1
Bucer verweist für sein Verständnis der paulinischen Aussage »eines
Weibes Mann« auf die Exegese, die Johannes Chrysostomus zu den
betreffenden Stellen gebracht hat. In der Auseinandersetzung mit 5
Bartholomäus Latomus in den »Scripta duo adversaria D. Bartholomaei
Latomi LL. Doctoris, et Martini Buceri theologi« von 15 44 2 hat er
sein Verständnis der Chrysostomusstellen im Abschnitt über den
Coelibat auf den Seiten 76 ff. ausführlich dargelegt. Zunächst geht es
um die Auslegung von 1 Tim 3. Dazu merkt Chrysostomus an, daß 10
Paulus die Worte »unius uxoris vir« anführt, da es den Juden erlaubt
gewesen sei »secundas adire nuptias et duas semel habere uxores 3«.
Dabei meint aber Chrysostomus nach dem Verständnis Bucers nicht
zwei Sachverhalte - nämlich, um in der Sprache des späteren Kirchen-
rechts zu reden, die bigamia successiva und die bigamia vera -, sondern 15
drückt in der Doppelung des Ausdrucks dieselbe Sache aus: nur die
bigamia vera ist verboten 4 5. Danach geht Bucer auf die Auslegung ein,
die Chrysostomus Tit 1 gegeben hat: In Tit 1 wendet sich Paulus gegen
Häretiker, die die Ehe gänzlich verdammen, daneben richtet er sich auch
gegen gewisse impudici, von denen er nicht will, daß sie zum Kirchen- 20
amt nach einer zweiten Ehe (post secundas nuptias) zugelassen werden:
»nam qui erga defunctam uxorem nullam servavit benevolentiam,
quomodo bonus ecclesiae praesul esse potuerit? 3«. Daraus schließt
Bucer, daß sich Chrysostomus nur gegen die zweiten Ehen »lascivorum
et impudicorum hominum« wendet, gegen solche, »qui viva uxore sua 25
legitima alteram duxerit«, oder, »qui duas habuerit simul«, oder,» qui
alteram repudiata priore habuerit 6«. Außerdem ist die lateinische Über-
setzung falsch. Das im griechischen Text stehende Wort ScTteX&ovcrocv
darf im Lateinischen nicht mit »defunctam« wiedergegeben werden,
sondern mit einer Form von »abire 7«. Daraus folgt für Bucer eindeutig, 30
daß die kirchliche Exegese, nach der die Paulusstelle bedeutet, daß ein
Geistlicher in seinem ganzen Leben nur eine Frau haben dürfe, eine
Sondermeinung der abendländischen Väter Ambrosius, Hieronymus
und Augustin ist. Eine solche private Anschauung aber darf in der Kirche
1. Vgl. A.Baum, S. 39 ff.
2. Bibi. Nr. 78.
3. MSG 62,547.
4. Scripta duo, S. 77.
5. MSG 62,671.
6. Scripta duo, S. 79.
7. Ebd. S. 79f.