In das alte römische Siedlungsland drangen Alamannen (259/60) und Franken (506) ein, ohne daß deren
Siedlungen anders als durch gelegentliche Bodenfunde faßbar zu machen sind. Im 8. Jahrhundert sind durch
Güterverzeichnisse des Klosters Lorsch undWeißenburg Dühren, Helmstadt, Hilsbach und Sinsheim (774)
zu belegen. 1067 erhielt Sinsheim Markt- und Münzrecht, wurde aber erst 1192 durch Kaiser Heinrich VI.
zur Stadt erhoben. Schon damals war der selbständigen Entwicklung des Ortes durch die zwischen 1092
und 1100 erfolgte Gründung der Benediktinerabtei auf dem Michaelsberg eine gefährliche Konkurrenz
erwachsen. Der Ort Sinsheim wurde bei der Gründung durch Bischof Johannes von Speyer zunächst der
Abtei zur Ausstattung übereignet, von dieser aber an Heinrich V. abgetreten. Die Bestrebungen des Klosters
nach Einfluß auf Stadtregiment und Gerichtsbarkeit führten zu unablässigen Auseinandersetzungen, die
auch andauerten, als Sinsheim 1362 endgültig an die Kurpfalz überging. Ein Machtzuwachs war damit
nicht verbunden, die kurpfälzische Kellerei blieb auf der benachbarten Burg Steinsberg bzw. seit dem
Verkauf der Burg an die Venningen in Hilsbach. Die Umwandlung der Benediktinerabtei in ein weltliches
Ritterstift im Jahre 1496 brachte der Stadt zwar endgültig die Unabhängigkeit, aber starke Zerstörungen,
Plünderungen und Entvölkerung im Bauernkrieg, im 30jährigen Krieg und schließlich auch im Orleans’-
sehen Krieg haben Sinsheim immer wieder so schwer heimgesucht, daß der überwiegende Teil der alten
Baudenkmäler und mit ihnen die Inschriften zerstört sind. Einige wenige hat der Thesaurus Palatinus des
Freiherrn von Wickenburg überliefert19). Zwei Grabsteine von Äbten der Benediktinerabtei sind im Ori-
ginal erhalten (nrr. 235, 238), zwei Steine zeugen von der Vergangenheit des Ritterstifts (nrr. 264, 347).
Hilsbach war als pfälzische Festung und später als Verwaltungsmittelpunkt von 1253 bis 1803 ununter-
brochen in kurpfälzischem Besitz. Die Kirche St. Michael hat in ihrem frühgotischen Chor noch eine An-
zahl älterer Grabsteine bewahrt, die für den in Hilsbach ansässigen Adel zeugen (nr. 215, nr. 272), aber
auch den kurpfälzischen Kellereiverwaltern in Hilsbach gewidmet sind (nr. 273, nr. 289, nr. 334). In den
Kraichgauorten Heimstatt, Neckarbischofsheim, Michelfeld, Neidenstein und Eichtersheim kam die
Grundherrschaft im Verlauf des 13. und 14. Jahrhunderts an die Adelsgeschlechter der Helmstadt, Gemmin-
gen und Venningen und wurde die Ursache dafür, daß der Kraichgau stets sehr stark im Spannungsfeld
divergierender Kräfte lag: der Adel fühlte sich reichsunmittelbar, nur dem Kaiser unterworfen, während
die pfälzischen Kurfürsten seine Landsässigkeit und enge rechtliche Bindung an die Pfalz erstrebten20),
wozu ihnen das Lehensverhältnis, in dem die meisten Adligen zur Kurpfalz standen - in geringerem Ausmaß
waren auch württembergischc Lehen im Kraichgau vergeben, die sozusagen einen Zug nachWürttemberg
hin bewirkten - eine Handhabe bot. Es durchkreuzten sich daher im Kraichgau immer verschiedene Inter-
essengebiete, die selten und nur vorübergehend miteinander konform gingen. Zwar standen die Helm-
stadt, Gemmingen und Venningen immer in persönlichen Bindungen zum kurpfälzischen Hof und beklei-
deten teilweise hohe Ämter, sie waren aber zugleich Mitglieder des Ritterkantons Kraichgau und von
daher der Reichsritterschaft eng verbunden21). Noch vertieft wurden die Gegensätze durch die Bekennt-
nisfrage: früher und entschiedener als der Heidelberger Hof hatte der Adel im Kraichgau auf seinen
Besitzungen die Reformation eingeführt und entschieden hielt er an dem einmal gewählten lutherischen
Bekenntnis fest, auch dann, als der Hof zu Heidelberg sich der reformierten Lehre anschloß und sie in sei-
nen Territorien einführte22). Gelegentlich spiegelt sich solches Verhalten in den Inschriften: einem Gem-
mingen wird bezeugt, er sei der evangelischen Lehre „ein Anfänger, Handhaber und Beschirmer“ gewe-
sen (nr. 285) und dem Philipp von Heimstatt wird in lateinischen Distichen die Förderung der wahren
Religion als Verdienst vor Gott angerechnet (nr. 280). Berücksichtigt man zu allem noch, daß neben der
Pfalz auch das Herzogtum Württemberg, das Erzbistum Mainz und die Bistümer Worms und Speyer
einerseits durch Besitz, andererseits auch durch die Vergabung von Lehen und Kirchenpatronaten im Kraich-
gau von Einfluß waren - das hier Gesagte gilt nicht speziell für den in diesem Band erfaßten Bereich, son-
dern für den gesamten Kraichgau -, so wird sehr deutlich, welchen Spannungsverhältnissen das Gebiet
in seiner territorialen Zersplitterung ausgesetzt sein mußte. Ein Zeugnis des Speyerer Einflusses findet sich
auf den Glasgemälden der Kirche zu Dühren bei Sinsheim, die heute in Schloß Ebersteinburg verwahrt
werden: die sehr qualitätvolle Verglasung des Chores verdankte die Kirche ihrer Inkorporation nach Speyer,
die Königspfründner nennen sich inschriftlich auf den Scheiben (nrr. 249, 250).
Im Ganzen gesehen bietet der nördliche Teil des Landkreises Sinsheim in seinen Inschriften ein sehr
gegensätzliches Bild zum ehemaligen Landkreis Mannheim. Er charakterisiert sich als historische Klein-
landschaft, deren Städte (auch wenn sie wie Sinsheim und Waibstadt ursprünglich Reichsstädte waren)
19) Vgl. unten S. XV.
20) Wichtig dazu V.Press, Die Ritterschaft im Kraichgau, in: ZGO. 122 (1974) 35ff. mit zahlreichen Belegen.
21) Über die Reichsritterschaft im Kraichgau G.Kolb, Die Kraichgauer Ritterschaft unter der Regierung des
Kurfürsten Philipps von der Pfalz, in: Württ. Vierteljahrshefte f. Landesgeschichte NF. 19 (1910) iff.
22) Vierordt, Geschichte der evangelischen Kirche in dem Großherzogtum Baden I 148ff., 344ff.
XIV
Siedlungen anders als durch gelegentliche Bodenfunde faßbar zu machen sind. Im 8. Jahrhundert sind durch
Güterverzeichnisse des Klosters Lorsch undWeißenburg Dühren, Helmstadt, Hilsbach und Sinsheim (774)
zu belegen. 1067 erhielt Sinsheim Markt- und Münzrecht, wurde aber erst 1192 durch Kaiser Heinrich VI.
zur Stadt erhoben. Schon damals war der selbständigen Entwicklung des Ortes durch die zwischen 1092
und 1100 erfolgte Gründung der Benediktinerabtei auf dem Michaelsberg eine gefährliche Konkurrenz
erwachsen. Der Ort Sinsheim wurde bei der Gründung durch Bischof Johannes von Speyer zunächst der
Abtei zur Ausstattung übereignet, von dieser aber an Heinrich V. abgetreten. Die Bestrebungen des Klosters
nach Einfluß auf Stadtregiment und Gerichtsbarkeit führten zu unablässigen Auseinandersetzungen, die
auch andauerten, als Sinsheim 1362 endgültig an die Kurpfalz überging. Ein Machtzuwachs war damit
nicht verbunden, die kurpfälzische Kellerei blieb auf der benachbarten Burg Steinsberg bzw. seit dem
Verkauf der Burg an die Venningen in Hilsbach. Die Umwandlung der Benediktinerabtei in ein weltliches
Ritterstift im Jahre 1496 brachte der Stadt zwar endgültig die Unabhängigkeit, aber starke Zerstörungen,
Plünderungen und Entvölkerung im Bauernkrieg, im 30jährigen Krieg und schließlich auch im Orleans’-
sehen Krieg haben Sinsheim immer wieder so schwer heimgesucht, daß der überwiegende Teil der alten
Baudenkmäler und mit ihnen die Inschriften zerstört sind. Einige wenige hat der Thesaurus Palatinus des
Freiherrn von Wickenburg überliefert19). Zwei Grabsteine von Äbten der Benediktinerabtei sind im Ori-
ginal erhalten (nrr. 235, 238), zwei Steine zeugen von der Vergangenheit des Ritterstifts (nrr. 264, 347).
Hilsbach war als pfälzische Festung und später als Verwaltungsmittelpunkt von 1253 bis 1803 ununter-
brochen in kurpfälzischem Besitz. Die Kirche St. Michael hat in ihrem frühgotischen Chor noch eine An-
zahl älterer Grabsteine bewahrt, die für den in Hilsbach ansässigen Adel zeugen (nr. 215, nr. 272), aber
auch den kurpfälzischen Kellereiverwaltern in Hilsbach gewidmet sind (nr. 273, nr. 289, nr. 334). In den
Kraichgauorten Heimstatt, Neckarbischofsheim, Michelfeld, Neidenstein und Eichtersheim kam die
Grundherrschaft im Verlauf des 13. und 14. Jahrhunderts an die Adelsgeschlechter der Helmstadt, Gemmin-
gen und Venningen und wurde die Ursache dafür, daß der Kraichgau stets sehr stark im Spannungsfeld
divergierender Kräfte lag: der Adel fühlte sich reichsunmittelbar, nur dem Kaiser unterworfen, während
die pfälzischen Kurfürsten seine Landsässigkeit und enge rechtliche Bindung an die Pfalz erstrebten20),
wozu ihnen das Lehensverhältnis, in dem die meisten Adligen zur Kurpfalz standen - in geringerem Ausmaß
waren auch württembergischc Lehen im Kraichgau vergeben, die sozusagen einen Zug nachWürttemberg
hin bewirkten - eine Handhabe bot. Es durchkreuzten sich daher im Kraichgau immer verschiedene Inter-
essengebiete, die selten und nur vorübergehend miteinander konform gingen. Zwar standen die Helm-
stadt, Gemmingen und Venningen immer in persönlichen Bindungen zum kurpfälzischen Hof und beklei-
deten teilweise hohe Ämter, sie waren aber zugleich Mitglieder des Ritterkantons Kraichgau und von
daher der Reichsritterschaft eng verbunden21). Noch vertieft wurden die Gegensätze durch die Bekennt-
nisfrage: früher und entschiedener als der Heidelberger Hof hatte der Adel im Kraichgau auf seinen
Besitzungen die Reformation eingeführt und entschieden hielt er an dem einmal gewählten lutherischen
Bekenntnis fest, auch dann, als der Hof zu Heidelberg sich der reformierten Lehre anschloß und sie in sei-
nen Territorien einführte22). Gelegentlich spiegelt sich solches Verhalten in den Inschriften: einem Gem-
mingen wird bezeugt, er sei der evangelischen Lehre „ein Anfänger, Handhaber und Beschirmer“ gewe-
sen (nr. 285) und dem Philipp von Heimstatt wird in lateinischen Distichen die Förderung der wahren
Religion als Verdienst vor Gott angerechnet (nr. 280). Berücksichtigt man zu allem noch, daß neben der
Pfalz auch das Herzogtum Württemberg, das Erzbistum Mainz und die Bistümer Worms und Speyer
einerseits durch Besitz, andererseits auch durch die Vergabung von Lehen und Kirchenpatronaten im Kraich-
gau von Einfluß waren - das hier Gesagte gilt nicht speziell für den in diesem Band erfaßten Bereich, son-
dern für den gesamten Kraichgau -, so wird sehr deutlich, welchen Spannungsverhältnissen das Gebiet
in seiner territorialen Zersplitterung ausgesetzt sein mußte. Ein Zeugnis des Speyerer Einflusses findet sich
auf den Glasgemälden der Kirche zu Dühren bei Sinsheim, die heute in Schloß Ebersteinburg verwahrt
werden: die sehr qualitätvolle Verglasung des Chores verdankte die Kirche ihrer Inkorporation nach Speyer,
die Königspfründner nennen sich inschriftlich auf den Scheiben (nrr. 249, 250).
Im Ganzen gesehen bietet der nördliche Teil des Landkreises Sinsheim in seinen Inschriften ein sehr
gegensätzliches Bild zum ehemaligen Landkreis Mannheim. Er charakterisiert sich als historische Klein-
landschaft, deren Städte (auch wenn sie wie Sinsheim und Waibstadt ursprünglich Reichsstädte waren)
19) Vgl. unten S. XV.
20) Wichtig dazu V.Press, Die Ritterschaft im Kraichgau, in: ZGO. 122 (1974) 35ff. mit zahlreichen Belegen.
21) Über die Reichsritterschaft im Kraichgau G.Kolb, Die Kraichgauer Ritterschaft unter der Regierung des
Kurfürsten Philipps von der Pfalz, in: Württ. Vierteljahrshefte f. Landesgeschichte NF. 19 (1910) iff.
22) Vierordt, Geschichte der evangelischen Kirche in dem Großherzogtum Baden I 148ff., 344ff.
XIV