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Seeliger-Zeiss, Anneliese; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 47 = Heidelberger Reihe, 13. Band): Die Inschriften des Landkreises Böblingen — Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.57659#0118
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Gärtringen, ev. Pfarrkirche (St. Veit)

nach 1498

Inschriften am Langhaus-Gewölbe und Bauzahlen am Turm und im Chor als Eckdaten für die Bau-
geschichte. Die gemalten Inschriften bei den Renovierungen von 1913 und 1965 „aufgefrischt“.
I. Im ersten Joch des Langhauses ringförmiger Scheitelstein aus rotem Sandstein mit sog. „Himmel-
loch“ und vier Rippenansätzen, heute von oben durch em Brett verschlossen. Umschrift weiß auf
rotem Grund zwischen zwei kräftigen weißen Linien, Rand goldfarben. Der Scheitelstein ist von
dekorativer Gewölbemalerei umgeben, deren Motive — Wolkenband und Strahlenkranz — das Ge-
wölbe als himmlische Sphäre charakterisieren. Innerhalb der Abfolge des Schlußsteinprogramms folgt
der Ring auf Schlußsteine mit Darstellungen der Arma Christi und Marias ohne Inschriften; nach
dem Ring schließen sich im zweiten Joch die Symbole der vier Evangelisten an1.
Abb. 35 Dm. der in den Dachstuhl führenden Öffnung ca. 80-100 cm. - Gotische Minuskel mit Versalien
Videntibus • jllis • elevatus • est • Et • nubes • suscepit • eum2 • All(eluj)a • Ascendens •
Chr(istu)sa • jn altumb •
(Und da er solches gesagt,) ward er aufgehoben zusehends, und eine Wolke hob ihn auf. — Halleluja! Christus fährt in
den Himmel auf!
II. Im zweiten Joch des Langhauses vier Gewölbe-Schlußsteine mit Reliefs der Evangelisten-Symbole
und Beischriften. Runde Tellerform, Rippenansätze und Außenprofil sind einmal gekehlt. Roter
Sandstein, farbig gefaßt, Beischriften auf Spruchbändern in schwarz auf weißem Grund.
Abb. 34 Dm. ca. 70 cm. — Gotische Minuskel
S ■ Jo=//hannes •
S • // • marcus // •
S • matheus •
S ■ // lucas // •
Die Pfarrkirche ist 1275 erstmals als vorhanden erwähnt. Vom Vorgängerbau der heutigen Kirche sind
Grabmäler in den Neubau übernommen worden3. Die Inkorporation in das Stift Herrenberg
1455/1456 steht in Zusammenhang mit dem Neubau des Westturms, für den durch dendrochrono-
logische Untersuchungen eine Bauzeit von ca. 1455 bis ca. 1460 ermittelt werden konnte; dies wird
durch die Bauzahl 1455 am Turm und durch die Anschaffung der Glocke von 1456 bestätigt4. Die
auf das Chorgewölbe aufgemalte Bauzahl 1496 überliefert die Fertigstellung des Chorneubaus und
den Baubeginn des Langhauses. Dessen Errichtung schloß sich unmittelbar an, wofür wiederum
dendrochronologische Untersuchungen des Dachstuhls den Beweis liefern0. Das Gewölbe wurde
üblicherweise erst nach Fertigstellung des Dachstuhls und Eindeckung des Daches eingezogen, also
mit Sicherheit erst nach 1498. Deshalb ist — mit Haibauer übereinstimmend — die Vollendung der
Bauarbeiten frühestens zwischen 1498 und 1500 anzunehmen. Der im nördlichen Württemberg
ungewöhnliche Typ einer einschiffigen Wandpfeilerkirche steht stilistisch in Zusammenhang mit der
Stiftskirche in Herrenberg, deren Stiftskapitel als Patronatsinhaber für die Bauausführung verant-
wortlich war. Das Meisterzeichen Stz. nr. 6 am Gewölbe einer der westlichen Seitenkapellen des
Langhauses ist auch am Herrenberger Langhaus nachweisbar. Das Stz. nr. 7 begegnet auch in Gült-
stern (Stadt Herrenberg) und in gestürzter Form nach 1508 auch in Hirsau. Damit ist der engere Kreis
der hier beteiligten Werkleute umrissen. Der Befund der Wappen-Schlußsteine am Gewölbe ent-
spricht der Ansetzung des Gewölbes nach 1498, ohne daß hieraus ein präzises Datum zu gewinnen
wäre6.
Das Vorhandensein eines Himmelloches, das an Himmelfahrt in das liturgische Geschehen des Fest-
tags einbezogen wurde, ist bei einer Pfarrkirche dieser Zeit nicht ungewöhnlich7. Die Aufzugs-
öffnung war als Ladeluke für Baumaterial und Speichervorräte für den spätgotischen Kirchenbau not-
wendig. Jedoch wird die hier beigegebene Inschrift nur verständlich durch Erkenntnisse der neueren
Forschung über die liturgischen Funktionen, die das „Himmelloch“ im Gottesdienst zwischen Grün-
donnerstag und Pfingsten zu erfüllen hatte8. Die Verbindung mit dem zur Antiphon des Himmel-
fahrtsfestes gehörigen Bibeltext zeigt auf, daß durch die Öffnung während des Gottesdienstes eine
Holzfigur des auferstandenen Christus emporgezogen werden konnte, um die Himmelfahrt Christi
szenisch zur Darstellung zu bringen. Der Ablauf dieses Geschehens konnte aus schriftlichen Quellen
genau rekonstruiert werden9. Einmalig jedoch dürfte die Anbringung des zugehörigen Bibeltextes an

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