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Zahn, Peter; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 90 = Münchener Reihe, 16. Band, Nürnberg, Teilband 3,1) (1609-1650) — Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.57583#0046
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nach dem zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts den Dreißigjährigen Krieg. Wir lernen Exulanten
aus Frankreich, der Südschweiz, den Niederlanden, aus Österreich und zuletzt aus der Oberpfalz ken-
nen, die in der Reichsstadt und ihrem Landgebiet Zuflucht fanden. Es treten die großen Waffenhändler
im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges und während seiner ganzen Dauer auf. Sie haben, wie vorher
an die Türken, durchaus auf Umwegen auch an die beiden kriegführenden Parteien geliefert. Die
neuen Unternehmer und Handelshäuser, von den Patriziern als „Neureiche“ betrachtet, lassen re-
präsentative Neubauten errichten, wie das Fembohaus und das Peilerhaus. „Zwischen 1589 und 1610
entstehen 27 große Bürgerhäuser, von denen nur drei von Patrizierfamilien stammen“,51) Beweise
großer wirtschaftlicher Potenz am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. In und mit der Stadt im
Handel stehen die italienischen Firmen Beccaria, Corolanza, Benevieni & Sim, Lumago, Odescalchi
und Orseti, die Niederländer und Wallonen Bloemart, Bosch, De Braa, De Bourg, Cordier, Fermond,
Lebrun, Legrand, Pilgram, Van Oyrl, die Nürnberger Ayrmann, Beck, Fürleger, Imhoff, Muellegg,
Kleewein, Marstaller, Scherl, Roth und Tücher. Sie spielen auch mit bei der Gründung des „Banco
publico“ von 1621, der zweiten Börse nach Hamburg (1619) und noch vor der Amsterdamer (1625).52)
Ihr war bereits 1560 die erste Nürnberger Handelsbörse vorhergegangen.53) Auch war 1618 das älteste
Leihhaus nördlich der Alpen eingerichtet worden.54) Nicht zuletzt werden wir durch die Opfer und
die Not Zeugen der Kriegshandlungen, die 1632 auch das Nürnberger Umland erreichen. Nürnberg
war im Dreißigjährigen Krieg um Neutralität bemüht und versuchte, trotz seines protestantischen
Glaubens, dem katholischen Kaiser treu zu bleiben. Seit 1618 kostete diese „Schaukelpolitik“ (Endres)
die Stadt hohe Summen: die nicht ganz zweijährige Mitgliedschaft in der protestantischen Union, aus
der Nürnberg und die anderen Reichsstädte 1621 ausgetreten waren, hatte 250000 Gulden gekostet.55)
Zwischen 1620 und 1631 mußte Nürnberg mehr als 100 Durchzüge hinnehmen, teils von ganzen Ar-
meen, trotz hoher Geldzahlungen, die dies verhindern sollten, wie die in Höhe von 100 100 fl. an Wal-
lenstein im Jahr 1625. Ein besonders teurer Durchzug, der des Markgrafen Hans Georg im Jahr 1627,
kostete 80000 Gulden. Dazu kamen vom Juni 1629 bis Februar 1630 Abgaben in Höhe von 180000 fl.
nach Wien.56) Die Gesamtausgaben für die Jahre 1619 — 1629 „wegen der Römischen Kaiserlichen Maiestät
... und unterschiedliches Kriegsvolk, so ... vorübergezogen, teils einquartiert worden, auch was an Geld Kaiserli-
cher Majestät bar bezahlt“, beliefen sich auf die enorme Summe von 1 202049 Gulden.57) Die Drangsale
nahmen aber noch zu: auch von schwedischen Truppen wurden Nürnberger Kaufleute mit einem
Schaden von 400000 fl. ausgeraubt.58) Alles in allem summierten sich die Abgaben und Vermögens-
schäden der Stadt auf die Schuldsumme von 7365000 Gulden. Vor dem Krieg waren es „nur“ noch
1,8 Millionen Gulden gewesen, als eine Spätfolge des Zweiten Markgrafenkrieges von 1552.59) Durch
kranke Soldaten und aus dem Umland geflüchtete Landbewohner wird zu allem Unglück auch die
zweite große Pestepidemie seit 100 Jahren eingeschleppt, an der 1632 mehr als 16000, zwei Jahre später
1634 noch einmal 11000 Personen sterben, etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung (nach anderer
Meinung sogar fast die Hälfte). Nürnberg hat sich von diesem Aderlaß an Menschen und von den
hohen Kriegskontributionen bis zum Ende des Alten Reiches demographisch und wirtschaftlich nicht
mehr erholt, trotz einer Spätblüte in den Wissenschaften und in der Dichtung.60)
Ernst Moritz Arndt schreibt in seiner Reise von Berlin über Wien nach Venedig 1798 über Nürnberg:
„Da ruft man mit einem wehmütigen Gefühle aus fuit Ilium, fuimus Troes!‘ (Einst war Ilias, wir sind Trojer ge-
wesen). Die hohen Mauern und Türme sind dann freilich immer noch da als Zeugen der ehemaligen Herrlichkeit. ...
Bis über die Ohren in Schulden, durch schlechte Wirtschaft und Verfassung lange mit ihren Patriziern in Prozesse
verwickelt, sind die Nürnberger nun noch mehr in die Klemme gekommen durch den König von Preußen, der seine

51) Martin Schieber, Nürnberg, eine illustrierte Geschichte der Stadt (2000) S. 80.
52) Artikel „Bancho Publico“ und „Bancoamt“, in: SLN (2000) S. 99 h.
53) Artikel „Börse“ in SLN (2000) S. 152 und „Handelsvorstand“ a. a. O. S. 401h, Essay „Handel und Kauf-
mannschaft“ a. a. O S. 402 f.
54) Artikel „Leihhaus“ in SLN (2000) S. 622 h.
55) Endres, Nürnbergs Stellung in Reich (1995) S. 29.
56) Donaubauer, Nürnberg in der Mitte des dreißigjährigen Krieges. IN: MVGN 10 (1893) S. 76.
57) Franz, Kaiser und Reich (1930) S. 267F; Endres, Nürnbergs Stellung in Reich (1995) S. 30.
58) Donaubauer, Nürnberg in der Mitte des dreißigjährigen Krieges. IN: MVGN 10 (1893) S. 93.
59) Endres, Nürnbergs Stellung in Reich (1995) S. 33.
60) Endres, Nürnbergs Stellung in Reich (1995) S. 36-40 mit zahlreichen Belegen. Vgl. den Untertitel in:
„Der Franken Rom. Nürnbergs Blütezeit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts“ (1995).

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