21. Almosenordnung für die Stadt Büdingen 1611
21. Almosenordnung für die Stadt Büdingena
18. Januar 1611
Allmosenordnung
Nachdem sich in dieser nun ein lange zeitt conti-
nuirender thewrunge ein große armuth und mangel
bei vielen haußleuthen und daher nicht ein geringer
uberlauff1 der nach almosen umbgehendter und
bethlender alter und junger leuthe ereuget2, aber
darbei allerhandt, sowohl den inwohnenden zue
mercklicher beschwehrung, alß auch den rechtt
dürfftigen armen selbsten zue abbruch und schmeh-
lerung deren ihnen sonsten gebürenden steur und
almosen gereichendt, unordnung und mißbrauch
vornemblich darin verspühret wird, daß junge
leuth, welche ihr brott mit der handt arbeit und tag-
lohn noch zu gewinnen [vermögen], sich theilß selb-
sten uf das betlen legen, theils ihre kinder ihnen in
ihrem müssiggang das brott vorzusamlen gewöhnen,
dieselbe teglich dem haußman zu [s]paren, auch
wohl mehr vor die thür schicken und also andern
dürfftigen, auch bißweiln breßhafftigen3, alten, un-
vermöglichen haußarmen | mit ihrem unersettlichem
geilen4 die steuer und das brott gleichsam vor dem
maul abstricken, alß wehre ein hohe notturfft, so-
wohl umb deren darauß entstehender beschwehrung
willen alß vornemlich, daß man ohne daß vermög
göttliches wortß und deß h. reichß, auch dißer her-
schafft kirchenordnungen sich der dürfftigen anzu-
nehmen und daß mit den almosen recht umbgangen
und niemandt, er sei dan mit schwacheit oder ge-
brechen seines leibß beladen oder sonsten recht not-
turfftig, zu bettlen gestattet werde, uffacht zu ha-
ben, deswegen gute, gewiße ordnung zu verfüegen
α Hirzue wirdt Wolf, der alt schmidt, der ohnedas vielmalß
umb ufnehmung in spital supplicirt, vorgeschlagen, und
konte seine fraw, weil sie noch jung und vermöglich, vor
eine magdt im spital dienen.
β Von diesem khann noch weitter geredet werden.
a Textvorlage (Handschrift): FYBA Büdingen Kulturwe-
sen Fasz. 16/98.
l Andrang, Grimm, DWb 23, Sp. 370f.
und darob mit allem ernst zu halten; solche ordnung
wurdt in folgennden beiden puncten stehen:
1. Wie das almosen zu der dürfftigen steur ohne
beschwehrung deß haußmanß und mit deßen willi-
ger handt möchte gesamlet werden, | 2. Wie es rich-
tig under die armen außzuspenden.
Belangendt das erste, so könten gewiße tage in der
wochen und benandtlich der dienstag und freytag
zum almosen samlen bestimpt und darzu ein gewiße
ehrliche manßperson, deme man ohne das etwan im
spital alhie seine underhaltung gebeα, der gestalt
verordnet werden, daß er mit einem korb und ver-
schloßener büchsenβ uf dieselbe tage in der gantzen
stadt von hauß zu hauß, wie auch im grossen
dorff5 und hinder der burgk6 bei den vermögenden
herumb gehen, einsamlen und, was also gesteuret,
den verordneten almosenpflegern in die kirche in
verwahrung (darzu ihnen die capel einzugeben)
liffern solle, zu welchem dan auch könte dasjenige,
was die herrschafft wochentlich an brott auspenden
leßet, zugeschoßen werden. |
Fernerß were zu verbesserung deß almosen anzu-
ordnen, daß bei hochzeitten und kindttauffen,
schöpfenimbisen, gerichtßzehrungen und derglei-
chen entweder in der kirchen oder bei den imbißen
die almosenbüchsen von dischen zu dischen uffge-
stelt und eingesamlet werde[n], insonderheit bei
weinkauffen, kauffen und verkauffen, da uf jeden
gülden etwa ein pfennig gleichsam alß ein gotspfen-
2 Gesehen.
3 Kranken, Gebrechlichen, Grimm, DWb 2, Sp. 373.
4 Betteln, Grimm, DWb 5, Sp. 2596.
5 Der westlich von Büdingen liegende Ort Großendorf, der
älter als Büdingen war und ursprünglich den Namen Bü-
dingen trug (der Name Großendorf wurde erst seit 1498
verwendet). Die Großendorfer Remigiuskirche war zu-
nächst die Mutterkirche von Büdingen, Dehio , Hessen,
S. 113.
6 Schloss Büdingen.
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21. Almosenordnung für die Stadt Büdingena
18. Januar 1611
Allmosenordnung
Nachdem sich in dieser nun ein lange zeitt conti-
nuirender thewrunge ein große armuth und mangel
bei vielen haußleuthen und daher nicht ein geringer
uberlauff1 der nach almosen umbgehendter und
bethlender alter und junger leuthe ereuget2, aber
darbei allerhandt, sowohl den inwohnenden zue
mercklicher beschwehrung, alß auch den rechtt
dürfftigen armen selbsten zue abbruch und schmeh-
lerung deren ihnen sonsten gebürenden steur und
almosen gereichendt, unordnung und mißbrauch
vornemblich darin verspühret wird, daß junge
leuth, welche ihr brott mit der handt arbeit und tag-
lohn noch zu gewinnen [vermögen], sich theilß selb-
sten uf das betlen legen, theils ihre kinder ihnen in
ihrem müssiggang das brott vorzusamlen gewöhnen,
dieselbe teglich dem haußman zu [s]paren, auch
wohl mehr vor die thür schicken und also andern
dürfftigen, auch bißweiln breßhafftigen3, alten, un-
vermöglichen haußarmen | mit ihrem unersettlichem
geilen4 die steuer und das brott gleichsam vor dem
maul abstricken, alß wehre ein hohe notturfft, so-
wohl umb deren darauß entstehender beschwehrung
willen alß vornemlich, daß man ohne daß vermög
göttliches wortß und deß h. reichß, auch dißer her-
schafft kirchenordnungen sich der dürfftigen anzu-
nehmen und daß mit den almosen recht umbgangen
und niemandt, er sei dan mit schwacheit oder ge-
brechen seines leibß beladen oder sonsten recht not-
turfftig, zu bettlen gestattet werde, uffacht zu ha-
ben, deswegen gute, gewiße ordnung zu verfüegen
α Hirzue wirdt Wolf, der alt schmidt, der ohnedas vielmalß
umb ufnehmung in spital supplicirt, vorgeschlagen, und
konte seine fraw, weil sie noch jung und vermöglich, vor
eine magdt im spital dienen.
β Von diesem khann noch weitter geredet werden.
a Textvorlage (Handschrift): FYBA Büdingen Kulturwe-
sen Fasz. 16/98.
l Andrang, Grimm, DWb 23, Sp. 370f.
und darob mit allem ernst zu halten; solche ordnung
wurdt in folgennden beiden puncten stehen:
1. Wie das almosen zu der dürfftigen steur ohne
beschwehrung deß haußmanß und mit deßen willi-
ger handt möchte gesamlet werden, | 2. Wie es rich-
tig under die armen außzuspenden.
Belangendt das erste, so könten gewiße tage in der
wochen und benandtlich der dienstag und freytag
zum almosen samlen bestimpt und darzu ein gewiße
ehrliche manßperson, deme man ohne das etwan im
spital alhie seine underhaltung gebeα, der gestalt
verordnet werden, daß er mit einem korb und ver-
schloßener büchsenβ uf dieselbe tage in der gantzen
stadt von hauß zu hauß, wie auch im grossen
dorff5 und hinder der burgk6 bei den vermögenden
herumb gehen, einsamlen und, was also gesteuret,
den verordneten almosenpflegern in die kirche in
verwahrung (darzu ihnen die capel einzugeben)
liffern solle, zu welchem dan auch könte dasjenige,
was die herrschafft wochentlich an brott auspenden
leßet, zugeschoßen werden. |
Fernerß were zu verbesserung deß almosen anzu-
ordnen, daß bei hochzeitten und kindttauffen,
schöpfenimbisen, gerichtßzehrungen und derglei-
chen entweder in der kirchen oder bei den imbißen
die almosenbüchsen von dischen zu dischen uffge-
stelt und eingesamlet werde[n], insonderheit bei
weinkauffen, kauffen und verkauffen, da uf jeden
gülden etwa ein pfennig gleichsam alß ein gotspfen-
2 Gesehen.
3 Kranken, Gebrechlichen, Grimm, DWb 2, Sp. 373.
4 Betteln, Grimm, DWb 5, Sp. 2596.
5 Der westlich von Büdingen liegende Ort Großendorf, der
älter als Büdingen war und ursprünglich den Namen Bü-
dingen trug (der Name Großendorf wurde erst seit 1498
verwendet). Die Großendorfer Remigiuskirche war zu-
nächst die Mutterkirche von Büdingen, Dehio , Hessen,
S. 113.
6 Schloss Büdingen.
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